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Perspektive einer migrantischen Lehrkraft

„Eine gelingende Integration beginnt mit einer gezielten Sprachförderung.“

Mohamed Sayed war u.a. als Integrationsbeauftragter des Landratsamtes Nordhausen und als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Nordhausen tätig, bevor er sich dann dazu entschloss, als Quereinsteiger in den Schuldienst zu wechseln. Seit vier Jahren ist er nun als Lehrer für Deutsch als Zweitsprache an einer Regelschule tätig. Gründe genug, ihn nach seinen Erfahrungen und seiner Einschätzung zu befragen.

Mohamed-Sayed - Quelle: NordhausenWiki - CC-BY-SA-3.0-DE

GEW: Wie sah Dein bisheriger beruflicher Weg aus?

Mohamed Sayed: Nach meinem Germanistik Studium habe ich zunächst als Studienreiseführer gearbeitet, bevor ich nach Deutschland kam. Anschließend absolvierte ich ein Diplomstudium in Tourismuswirtschaft an der Hochschule Harz und arbeitete dort parallel als Dozent, unter anderem für Freizeitmanagement. Danach setzte ich mein Studium an der Hochschule Fulda fort und erwarb einen Master in International Management sowie einen Master in Interkultureller Kommunikation. Ab 2010 war ich in der Tourismusbranche tätig und baute schließlich meinen eigenen Reiseveranstalter auf. Nach zehn Jahren entschied ich mich für einen neuen Weg in die öffentliche Verwaltung. Während meiner Tätigkeit als Integrationsbeauftragter des Landkreises Nordhausen absolvierte ich parallel einen Master in Öffentlicher Verwaltung. Seit 2016 engagiere ich mich ehrenamtlich als Vorsitzender des Integrationsbeirats Nordhausen. Diese Arbeit hat mir gezeigt, dass im Bereich Integration viel bewegt werden kann – besonders im Schulwesen. Das war mein Antrieb, eine engere Verbindung zu den Schulen aufzubauen. Als vereidigter Dolmetscher und Übersetzer sowie als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht Nordhausen habe ich hautnah erlebt, dass viele gesellschaftliche Herausforderungen nur durch gute Bildung bewältigt werden können. Diese Erkenntnis bestärkte mich in meinem Entschluss, als Lehrer im Bereich Deutsch als Zweitsprache zu arbeiten und genau dort anzusetzen.

GEW: Welche Hürden musstest Du nehmen, um als Lehrer an einer Thüringer Schule arbeiten zu können?

Mohamed Sayed: Der Einstieg in den Schuldienst war alles andere als einfach. Trotz meines Germanistik-Studiums musste ich mich zunächst mit der langwierigen Anerkennung meines Abschlusses auseinandersetzen – ein bürokratischer Prozess, der viel Geduld erforderte. Zudem fehlten anfangs klare Strukturen für Quereinsteiger, sodass ungewiss war, wie ich in den Schulbetrieb integriert werden könnte. Da ich zuvor ausschließlich in der Erwachsenenbildung tätig war und keine Erfahrung im schulischen Unterricht hatte, musste ich eine einjährige Nachqualifizierung in Jena absolvieren – und gleichzeitig meinen Unterricht in vollem Umfang eigenständig gestalten. Die Anforderungen seitens der Schule und des Studienseminars an neue Lehrkräfte sind hoch, und viele scheitern an dieser Herausforderung. Letztendlich konnte ich mich durch Eigeninitiative und mein langjähriges ehrenamtliches Engagement im Bildungsbereich als kompetente Lehrkraft etablieren.

GEW: Wie schätzt Du die Situation von Schüler:innen mit Migrationshintergrund an Thüringer Schulen ein?

Mohamed Sayed: Die Situation ist sehr unterschiedlich. Während einige Schüler:innen mit Migrationshintergrund gut integriert sind und das Schulsystem erfolgreich durchlaufen, gibt es viele, die auf erhebliche Herausforderungen stoßen. Dazu gehören sprachliche Barrieren, fehlende Unterstützung in den Schulen und eine mangelnde Anerkennung ihrer Mehrsprachigkeit als Ressource. Viele Schüler:innen erleben zudem Diskriminierung oder Vorurteile, die ihren Bildungsweg erschweren. Besonders problematisch ist, dass es oft an individuell zugeschnittenen Fördermaßnahmen fehlt, um sie bestmöglich auf ihren Bildungsweg vorzubereiten.

GEW: Wie müsste die Förderung dieser Schüler:innen innerhalb der Schule aussehen, damit von einer gelingenden Integration gesprochen werden kann?

Mohamed Sayed: Eine gelingende Integration beginnt mit einer gezielten Sprachförderung, die nicht nur Deutsch als Zweitsprache berücksichtigt, sondern auch die Erstsprache der Schüler:innen wertschätzt und in den Lernprozess einbindet. Zudem braucht es mehr interkulturelle Schulung für Lehrkräfte, um besser auf die Bedürfnisse dieser Schüler:innen eingehen zu können. Eine enge Zusammenarbeit mit Eltern und außerschulischen Akteuren ist ebenfalls entscheidend. Darüber hinaus sollten Schulen gezielt Programme zur sozialen Integration anbieten, die es den Schüler:innen ermöglichen, Teil der Schulgemeinschaft zu werden und nicht nur als "Förderfall" wahrgenommen zu werden.

GEW: Wo siehst Du Grenzen der Integrationsmöglichkeiten, die Schule leisten kann?

Mohamed Sayed: Schule kann Integration maßgeblich unterstützen, aber sie kann nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Wenn Schüler:innen in einem Umfeld aufwachsen, das Integration erschwert – sei es durch soziale Ausgrenzung, strukturelle Benachteiligung oder fehlende Unterstützung im Elternhaus – kann Schule allein dies nicht kompensieren. Hier braucht es ein gesamtgesellschaftliches Engagement, das auch Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft einbindet. Zudem stößt Schule an ihre Grenzen, wenn nicht genügend Ressourcen bereitgestellt werden, sei es in Form von zusätzlichem Personal, Fortbildungen oder Förderprogrammen. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und Schule ist ein zentraler, aber nicht der einzige Akteur in diesem Prozess.

GEW: Vielen Dank.

Kontakt
Dr. Michael Kummer
Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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