Zum Inhalt springen

Ein Jahr nach der LVV – Ein Jahr r2g

Als Vorsitzende der GEW Thüringen auf ein Jahr rot-rot-grüne Landesregierung zurückzublicken, geht nicht ohne einen Blick auf die Zeit nach der Landesvertreterversammlung im September 2014. Ihr habt damals einen neuen Landesvorstand gewählt, mit neuen, aber auch vertrauten Namen und Gesichtern. Die Landesvertreterversammlung hat uns viele Beschlüsse auf den Weg gegeben, die umzusetzen ist unser gemeinsamer Auftrag.

Wir sind voller Tatendrang und Optimismus in unsere Arbeit gestartet und wurden dann doch erst einmal ins Wartezimmer zurückgeschickt. Mehr als zwei Monate verhandelten die Parteien ihren Koalitionsvertrag, zwei Monate, in denen keine bildungspolitischen Gestaltungsräume mehr offen waren. Stillstand. Oder Ruhepause. In dieser Zeit hat sich der Landesvorstand neu formiert. Arbeitsgruppen wurden zusammengelegt oder umstrukturiert, erste Konzepte geschrieben und wieder verworfen. Pläne geschmiedet, was mit dieser neuen, bundesweit einmaligen, Landesregierung alles möglich sein könnte.

Gleich das erste bildungspolitische Projekt der Landesregierung sollte dafür sorgen, dass die Gewerkschaften den innerkoalitionären Machtkampf zu spüren bekamen. Die Diskussion um das Bildungsfreistellungsgesetz machte deutlich, welchen Spagat diese Koalition leisten muss: Ängste der Thüringer Wirtschaft vor mehr Regulierung und steigenden Kosten für soziale Leistungen beruhigen und zugleich die hohen Erwartungen der Gewerkschaften eindämmen. Herausgekommen ist ein Bildungsfreistellungsgesetz, das arbeitgeberfreundlicher nicht sein könnte. Aber es gibt ihn jetzt, den Anspruch auf fünf bezahlte Arbeitstage für gesellschaftspolitische Bildung, wenn auch nicht für Jede*n.

Angekommen in der Realpolitik ist auch die GEW Thüringen mit ihren Forderungen. Mehr Geld für Bildung heißt für uns ja nicht, die aufgrund von Tarifsteigerungen notwendigerweise steigenden Mittel im Haushalt wiederzufinden. Mehr Geld für Bildung heißt für uns eine bessere Ausstattung für die Aufgaben der Inklusion, zusätzliche Stellen für die Unterrichtsabsicherung und Personalreserve, Höhergruppierung und Beförderung, besserer Personalschlüssel für die Kindergärten und Abschaffung prekärer Beschäftigungsverhältnisse an Hochschulen, aber auch in der Erwachsenenbildung und bei den Erzieher*innen. Gespräche gab es einige, aber unsere Verhandlungsaufforderungen zur Fortführungen des Personalentwicklungskonzepts Schule und die zur Höhergruppierung und Beförderung mit dem Ziel der Änderung des Besoldungsgesetzes liefen ins Leere. Dem in den Gesprächen geäußerten Verständnis gegenüber unseren Forderungen steht die Schuldenbremse, zu der sich auch die neue Landesregierung bekannt hat, diametral entgegen. Und eine Finanzministerin, die im Landtag die entscheidende Stimme zur Koalitionsmehrheit hat, sitzt damit gegen alle bildungspolitischen Argumente immer am längeren Hebel. Zumindest solange, wie wir uns auf Gespräche und Schreiben konzentrieren. Wir brauchen kluge Aktionen mit vielen Mitgliedern, die der Landesregierung deutlich machen, dass wir es ernst meinen mit unseren Forderungen.

Neben den beiden Tarifrunden in diesem Jahr, TV-L für die Beschäftigten des Landes Thüringen und die Entgeltordnung des TVöD für den Sozial- und Erziehungsdienst in den Kommunen (die tz hat darüber ausführlich berichtet), hat die GEW Thüringen vor allem zwei Themen bewegt: Die Weiterentwicklung der Thüringer Grundschulen und die Herausforderungen aus der Migrationsbewegung, die derzeit alle Bereiche des gesellschaftlichen, beruflichen und politischen Lebens berühren.

Die Landesvertreterversammlung hat der GEW Thüringen den Auftrag gegeben, die Diskussion um die Kommunalisierung der Horte unter dem Blickwinkel der pädagogischen und organisatorischen Einheit von Grundschule und Grundschulhort zu führen. Die GEW Thüringen hat sich daraufhin entschlossen, diese Debatte in die Idee der Ganztagsschule einzubinden, bei deren Umsetzung sich die Verortung der Erzieher*innen im Landesdienst ergibt. Gleichwohl wissen wir, dass die Bedingungen in den kommunalisierten Horten so unterschiedlich sind, wie die bei denen im Landesdienst Verbliebenen. Es gilt, die Mitglieder mitzunehmen, deren Erfahrungen zu heben und in die Gestaltung des zukünftigen Ganztags, der den Hort ganz selbstverständlich mitdenkt, konstruktiv einzubringen. Für Ende des Jahres ist eine Entscheidung zum Modellprojekt angekündigt und wir werden mit Argusaugen beobachten, wie diese Entscheidung aussieht. Denn eines ist klar: Erzieher*innen an Horten leisten wichtige Arbeit am Kind und sind eine wichtige Säule im Schulalltag.  Prekäre Beschäftigung durch Zwangsteilzeit darf nicht der Lohn dafür sein.

Die weltweite Fluchtbewegung macht vor Thüringen nicht halt. Wir alle sind aufgefordert, Herzen und Türen zu öffnen, um den vor Krieg, wirtschaftlicher Not, Verfolgung fliehenden Menschen ein Dach über den Kopf und Perspektiven für ein sicheres Leben zu bieten. Unsere Bildungseinrichtungen von Kita über Schule, Hochschule über Erwachsenenbildung stellen sich den Herausforderungen, die sich daraus ergeben. Als GEW Thüringen sagen wir aber auch: Das geht nicht zum Nulltarif. Wenn schon jetzt die Unterrichtsabsicherung nicht gelingt, wenn schon jetzt Schulsozialarbeiter*innen an den Schulen fehlen, so müssen vor dem Hintergrund steigender Schüler*innenzahlen mit Blick auf Spracherwerb, Integrations- und Inklusionsanstrengungen neue und vor allem zusätzliche Stellen ins System eingebracht werden. Das Festhalten am Stellenabbaupfad ist da nicht nur kontraproduktiv, sondern geradezu absurd. Diese zusätzlichen Aufgaben sind ohne zusätzliche Mittel auf Dauer nicht zu leisten. Wenn wir sagen, gute Bildung für alle von Anfang an, dann gilt das für uns tatsächlich für alle. Für alle die da waren und für alle, die neu hinzukommen.

 Schlaglichtartig möchte ich hier auf den Stand der Umsetzung unserer Beschlüsse blicken:

"Forderungen zu den Arbeitsbedingungen an den Thüringer Hochschulen"                                        Der von der GEW erarbeitete Herrschinger Kodex hat Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Auf dieser Basis bringt die GEW Thüringen das Thema Gute Arbeit in der Wissenschaft in die anstehenden Gesetzesnovellierungen und in die Haushaltsdebatten ein.

"Tarifforderungen für Lehrende, insbesondere Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA) an Hochschulen"                                                                                                                                           Am letzten Tag der Aktionswoche „Traumjob Wissenschaft“ (6. November 2015) hat die GEW Thüringen das Thüringer Finanzministerium zu Verhandlungen aufgefordert. Die Tarifkommission der GEW und das Referat Hochschule und Forschung werden diese Verhandlungen gestalten.

"Bildungspolitischer Leitantrag"                                                                                                           Die Bildungsfinanzierung ist die Voraussetzung aller bildungs- und tarifpolitischen Ziele, die wir diskutieren. Hier können wir nicht nur Thüringen in den Blick nehmen, sondern müssen auch auf Bundesebene aktiv werden. Die Frage der Anerkennungskultur insbesondere bei Höhergruppierung/Beförderung besitzt derzeit kaum Erfolgsaussicht, das Thema Demografietarifvertrag wird in der Arbeitsgruppe Öffentlicher Dienst beim DGB Thüringen diskutiert. In der Tarifauseinandersetzung mit unbefristeten Streiks in Kitas und kommunalisierten Grundschulhorten ist uns die Politisierung der Erzieher*innen gelungen. Wir konnten viele neue Mitglieder in diesem Bereich gewinnen, jetzt müssen wir dafür sorgen, dass sie auch Mitglieder bleiben. Das Landeserziehungsgeld ist abgeschafft, wir plädieren auch weiterhin für Investitionen in einen besseren Personalschlüssel.

Zum Thema „Ganztagsschule von Anfang an“ ist an anderer Stelle schon geschrieben worden. Erwähnt werden soll hier, dass die Kampagne „Vorbildliche Bildungsräume“ nun auch auf die Grundschulhorte erweitert wird (siehe Beitrag in dieser tz unter „GEW Aktuell“).

Die Thüringer Gemeinschaftsschule bleibt das bildungspolitische Leitbild der Landesregierung und auch der GEW Thüringen. Hier begleitet die GEW die Diskussion u. a. mit der Forderung nach einem Lehramt und einem Besoldungsamt TGS, um die ungleiche Bezahlung an Gemeinschaftsschulen zu beenden. Die Debatte um die Berufsschulnetzplanung ist schwer, die GEW bringt sich über verschiedene Gremien ein und kämpft für ein gutes Berufsschulnetz auch jenseits der A 4.

Die referatsübergreifende AG Inklusion tagt regelmäßig, bei einem runden Tisch wurden Sofortmaßnahmen entwickelt, die aber vom TMBJS weitgehend unberücksichtigt blieben. Zur Zeit arbeitet die GEW Thüringen in einer Arbeitsgruppe zu einem Inklusiven Schulgesetz.

Die Arbeit der AG Pädagog*innenausbildung hat gerade begonnen (siehe Aufruf in dieser tz), Material wird gesichtet, ein Fachgespräch geplant und Ergebnisse aus dem Zukunftsforum Lehrer*innenbildung werden diskutiert und eingebracht.

Nach der Verabschiedung des Bildungsfreistellungsgesetzes beginnt nun die Umsetzung des ThürBfG in Zusammenarbeit mit den gewerkschaftlichen Bildungsträgern und DGB-Gewerkschaften.

"Forderungen der GEW Thüringen für die Wissenschaftspolitik in Thüringen", "Demokratisierung der Thüringer Hochschulen", "Gegen unternehmerische Steuerungsinstrumente" und "Für Zivilklauseln in Grundordnungen, Satzungen und Leitbildern aller Thüringer Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie im Thüringer Hochschulgesetz"                                                       Dies sind laufende Debatten, die GEW Thüringen wird ihre Positionen in die Novellierung des Thüringer Personalvertretungsgesetzes und des Thüringer Hochschulgesetzes einbringen. Das Referat Hochschule und Forschung gestaltet seit einiger Zeit die Oktober-Ausgabe der tz mit einem hochschulpolitischen Schwerpunktthema. Das Thema Zivilklausel konnte im Koalitionsvertrag verankert werden.

"Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Thüringer Bildungswesen"                                                 Der Landesausschuss Diversity hat dazu das Schwerpunktthema in der tz-Ausgabe Juni 2015 gestaltet und sich intensiv mit dem Thüringer Bildungsplan auseinandergesetzt. Die GEW Thüringen hat sich erstmals am Christopher Street Day (CSD) beteiligt. Der Landesausschuss führt selbstständig Veranstaltungen zu den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, Homophobie, Inklusion u. ä. durch, die bundesweit Reichweite entfalten.

"Weiterführung des Mitgliederprojektes"                                                                                           Das Mitgliederprojekt konnte im Januar 2015 erfolgreich weitergeführt werden, mittlerweile ist jedoch eine Stelle vakant. Wir suchen derzeit eine*n Mitarbeiter*in. Zudem wurde das OE-Projekt  „Der GEW ein Gesicht geben“ zur Stärkung der Vertrauensleutearbeit gestartet, welches durch die intensive Arbeit der Projektgruppe GEW 2020 koordiniert wird.

"Tarif- und beamtenpolitischer Leitantrag"                                                                                      Insgesamt eine starke TV-L-Runde im Land gemeinsam mit ver.di/GdP/dbb. Dennoch ist L-EGO, die tarifliche Eingruppierung aller Lehrkräfte, gescheitert. Mit der Unterschrift des dbb unter den vorgeschlagenen Tarifvertrag ist eine neue, deutlich kompliziertere Situation an den Schulen entstanden. Die GEW ringt nach wie vor um die Beantwortung der vielen offenen Fragen. Das Tarifergebnis ist durch die Steigerung der Beiträge für die Altersvorsorge ebenfalls kein einfaches Ergebnis.

Nach Warnstreikaktionen riefen wir zu unbefristeten Streiks im Sozial- und Erziehungsdienst mit gutem Start in den Städten Erfurt, Gotha, Weimar und Jena auf, die unterschiedlich lang ihre Arbeit niederlegten. Nach einem Schlichtungsverfahren lehnten die Mitglieder das Ergebnis ab. In Nachverhandlungen konnten noch einmal deutliche Verbesserungen zum Schlichtungsergebnis durchgesetzt werden, in der darauffolgenden Urabstimmung nahmen die Mitglieder das Ergebnis an.

Im Bereich der Beamtenpolitik ist die Verhandlungsaufforderung zur Beförderungspraxis an der Finanzministerin gescheitert. TFM und TMBJS streben offensichtlich eine kostengünstigere Lösung an, neue Besoldungsämter sind nicht geplant, dies gilt auch für die Thüringer Gemeinschaftsschule.

Nach einigen Gesprächen zum Personalentwicklungskonzept SCHULE wird die Monitoringgruppe wiedereinberufen. Die Verhandlungsaufforderung zum PEK Sonderpädagogische Förderung und Pädagog*innenbildung steht noch aus.

"Ilmenauer Erklärung"                                                                                                                           Die von der Landesvertreterversammlung verabschiedete Ilmenauer Erklärung wurde überall veröffentlicht und ist als Ausgangspunkt der neuen Wahlperiode zur GEW Thüringen zu verstehen.

Öffentlichkeitsarbeit                                                                                                                             Seit Juni ist die neue Homepage der GEW Thüringen online. Übersichtlich, bilderreich, informativ. Sie ist damit nicht nur ein Gewinn für unsere Mitglieder, sondern für alle, die sich für Bildungsfragen interessieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

hinter uns liegt ein Jahr voller Ideen, die oftmals noch zu wenig Gehör fanden. Lasst uns gemeinsam Wege finden, unseren Forderungen ein Gewicht zu verleihen, dass niemand ignorieren kann. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass Bildung nicht nur in Sonntagsreden als das wichtigste Gut unserer Gesellschaft gehandelt, sondern endlich auch umfassend finanziert wird. Diskutiert mit uns in unseren Kreis- und Betriebsverbänden, in den Arbeits- und Projektgruppen, wie die Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen gestaltet sein müssen, damit ihr euren Bildungsauftrag erfüllen könnt. Seid dabei, wenn wir euch zu Aktionen aufrufen, sprecht eure Kolleg*innen an. Gemeinsam sind wir stark, das galt vor einem Jahr, und es gilt weiterhin.

Kontakt
Kathrin Vitzthum
Landesvorsitzende
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 12 (Sekretariat)
Kathrin Vitzthum