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Leserbrief zur Diskussion um Schulgrößenvorgaben

Ein Gespenst geht um in Thüringen: Das Gespenst der Schulschließungen

Liebe GEWerkschaftsmitglieder, als aufmerksamer Beobachter der regionalen und Landesmedien und als Grundschullehrer habe ich natürlich die sachliche (und oft auch weniger sachliche) Diskussion um die geplanten Größenvorgaben für Schulen und Klassen in der Novelle des Schulgesetzes verfolgt. Bevor ich hier nun der allgemeinen aufgeregten Diskussion auch meine Meinung hinzufüge, sollten wir uns die Vorschläge der Landesregierung erst mal kurz anschauen.

§ 41a Klassen- und Schulgrößen (entnommen dem Gesetzentwurf der Landesregierung Thüringer Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens)

§ 41a 
Absatz

Schulart

Mindestschülerzahl

gesamt Eingangsklassenstufe
je Klasse
weitere Klassenstufen
je Klasse
Gymnasiale Oberstufe
(Einführungsphase)

1

Grundschule 80 22 18 -
2 Regelschule 240 24 20 -
3 Gemeinschaftsschulen
(Kl. 5-10)
260 Kl. 1-4: 22
Kl. 5-10: 24
Kl. 1-4: 18
Kl. 5-10: 20
40
4 integrative und kooperative Gesamtschule (Kl. 5-10) 400 24 20 60
5 Gymnasien
(außer Spezialgymnasien)
540 26 22 60

Nüchtern betrachtet erfüllen tatsächlich eine Reihe von Schulen in Thüringen derzeit diese Vorgaben nicht. Der Landkreistag spricht da zuletzt von 40 Prozent der Schulen. Nach einer Übergangszeit drohe diesen Schulen die Schließung. Aus diesem Grund fordert u.a. die neue Vizepräsidentin des Landkreistages, die SPD-Landrätin aus dem Kyffhäuserkreis Antje Hochwind, dass die festgelegten Größen für Schulen und Klassen unbedingt geändert werden müssten. Die im Gesetz vorgeschriebenen Mindestzahlen seien viel zu hoch angesetzt. Die Landkreistagspräsidentin Martina Schweinsburg, CDU-Landrätin aus dem Landkreis Greiz, ergänzte, dass die Landesregierung das Schulnetz an den Lehrermangel anpassen wolle. Tatsächlich müsse das Land aber für genügend Personal in den Schulen sorgen. (vgl. MDR-Meldung vom 19.12.2018)

Nun gehört zur Wahrheit, das Thüringen massive Probleme hat, die Unterrichtsversorgung flächendeckend sicherzustellen. Auf die hausgemachten Ursachen und Versäumnisse vorhergehender Landesregierungen will ich jetzt nicht näher eingehen. Auch in den nächsten Jahren werden Pädagogen in Größenordnungen in den verdienten Ruhestand gehen, die aber durch dann auf dem Markt befindliche voll ausgebildete Pädagogen bei weitem nicht ersetzt werden können.

Was kann man tun?

  • Variante 1: Wir lassen alles, wie es ist! Es werden keine Mindestgrößen festgeschrieben, alle (auch Kleinstschulen) bleiben erhalten und wir schreiten sehenden Auges in den personellen Super-GAU. Die Folgen für die Pädagog*innen, besonders an kleineren Schulen, wären weiter massiv steigende Belastungen durch noch mehr Abordnungen, Erteilung fachfremden Unterrichts, Mehrarbeit durch Vertretungsunterricht, Zusammenlegungen von Klassen usw. 
    Es sei denn, Frau Schweinsburg weiß, wo wir dann jährlich das benötigte Personal herbekommen.
  • Variante 2: Wir stellen mehr Pädagog*innen unbefristet ein. Nur unbefristete Beschäftigungen sind attraktiv und könnten in Teilen erfolgreich sein. Die GEW spricht dabei von 1800 Stellen im Rahmen eines Nachtragshaushaltes für 2019. Aber mal ehrlich: Wo sollen denn diese Pädagog*innen herkommen? Seiteneinsteiger*innen können eine gewisse Entlastung bringen, schaffen aber oft auch neue oder zusätzliche Probleme im Schulalltag, die dann wieder auf Kosten der Stammkräfte gehen.
  • Variante 3: Wir schaffen ein Schulnetz, das „ein differenziertes Unterrichtsangebot an allen Schulen gleichermaßen ermöglicht sowie einen zweckmäßigen und wirtschaftlichen Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln erreicht“ (aus der Begründung der Landesregierung zur Novelle des Schulgesetzes). Aus diesen Gründen will die Landesregierung nun Mindestvorgaben einführen. Ja, in der Konsequenz müsste dann auch die eine oder andere Schule geschlossen werden. Angesichts des fortdauernden Unterangebotes von Neupädagog*innen auch in den nächsten Jahren halte ich das für unausweichlich.

Nur so konsequent (oder sollte ich sagen: mutig) ist die Landesregierung dann auch wieder nicht. Sie flüchtet sich in die Idee, verschiedene Kooperationsmodelle zwischen Schulen zu ermöglichen.

Aber liebe Landesregierung, mit den meisten Modellen wird man meiner Meinung nach nicht viel „zweckmäßiger und wirtschaftlicher“ das Personal einsetzen können als bisher, weil das doch jetzt schon passiert. Würden Schulen nicht im Rahmen von gegenseitigen Abordnungen von Personal sich untereinander helfen, gingen schon heute in vielen Fächern und Schulen die Lichter aus. Auch Personaleinsparungen wird man damit nicht erreichen. Es sei denn, es werden durch  Schulzusammenlegungen ein paar Schulleiter*innen frei. Auf diese warten aber schon viele derzeit unbesetzte Schulleiterstellen.

Natürlich haben kleine Schulen besonders im ländlichen Raum Vorzüge für Schüler*innen, Beschäftigte und Gemeinden. Zur Realität gehört aber auch, dass auf die dort tätigen kleinen Pädagogenteams immer weiter steigende Belastungen durch die alltäglichen Schulaufgaben und -anforderungen zukommen. Und je kleiner die Teams, umso größer die Not bei weiterem Ausfall von Kolleg*innen allein schon durch Krankheit.

Liebe Frau Schweinsburg, liebe Frau Hochwind, „in jedem Dorf eine Kuh und noch einen Melker dazu“, das funktioniert unter den personellen Bedingungen in den nächsten Jahren nicht (mehr). Das weiß jeder, der sich mit der Materie ehrlich und frei von Parteipolitik beschäftigt.

Das haben andere Bundesländer bereits erkannt und sind ähnliche Wege in Ihren Schulgesetzen gegangen wie das Beispiel Sachsen-Anhalt zeigt. Also „sollten wir uns ehrlich machen“, wie unser Bildungsminister gern und oft sagt. Erkennen wir die Realitäten und Möglichkeiten für die nächsten Jahre an und gestalten ein Schulnetz, das Schulen mit stabilen Pädagogenteams in einer funktionsfähigen Größe schafft, die dadurch entlastet werden und so in der Perspektive kontinuierlich arbeiten können. So, wie es jetzt ist, gehen die Belastungen weiter einseitig auf Kosten der Beschäftigtengesundheit. Und das kann und darf die GEW nicht dulden!

Für alle, die meinen Leserbrief mit Bestürzung, Wut oder Enttäuschung lesen, soll er ein Aufruf sein, sich jetzt in die Diskussion um das neue Schulgesetz mit Sachverstand und Realitätssinn einzubringen.

Euer Kollege Andreas Heimann
Grundschullehrer in Arnstadt