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Demokratiebildung an Berufsschulen

Echte Begegnungen auf Augenhöhe

Uta Seibold-Pfeiffer ist seit 28 Jahren Sozialkunde- und Mathematiklehrerin an der Karl-Volkmar-Stoy-Schule in Jena. In dieser Schule erhalten ca. 700 Auszubildende in kaufmännischen Berufen ihre berufstheoretische Ausbildung; ca. 200 Schüler streben in verschiedenen Schulformen allgemeinbildende Schulabschlüsse an. Die Stoy-Schule trägt den Titel Europaschule, der vielfältig mit Leben erfüllt wird. In diesem Interview berichtet Uta Seibold-Pfeiffer von ihren Erfahrungen zur Umsetzung von Demokratieangeboten an beruflichen Schulen.

Die Karl-Volkmar-Stoy-Schule in Jena – Foto: Wikimedia Commons – indeedous

Gibt es spezielle Herausforderungen, die Sie für die Demokratiebildung an beruflichen Schulen wahrnehmen?

Also ein Problem, das berufliche Schulen sicher haben, ist, dass die Schüler durch die praktische Ausbildung im Blocksystem nur sehr kurz und auch nur punktuell in der Berufsschule erscheinen. Und da ist es natürlich auch schwierig ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis aufzubauen. Und ich denke, dieses gegenseitige Vertrauen ist in allen Fächern, aber für die demokratische Bildung auf besondere Art und Weise wichtig, um ehrliche und nachhaltige Diskussionen über politische Themen zu führen.

Und dann steht natürlich bei uns erstmal die berufliche Qualifizierung im Vordergrund und erst in zweiter Linie kommt die Allgemeinbildung in das Bild, wo auch dann die politische Bildung dazugehört. Sehr speziell ist auf jeden Fall auch die Altersstruktur in einer beruflichen Schule. Die geht ja von durchschnittlich 15 bis 25 Jahren, wir haben aber auch Schüler, die zum Teil mit über 50 nochmal einen neuen Beruf erlernen. Was die Leute also alles an Lebenserfahrungen, sozialen Hintergründen, Interessen und Fähigkeiten in die Schule und den Unterricht mitbringen, ist sehr heterogen und macht die Sache auch spannend.

Ihre Schule wurde Ende des Jahres 2019 für Ihre „innovative Demokratieerziehung“ mit dem Deutschen Arbeitgeberpreis für Bildung ausgezeichnet. Wie gestaltet sich die?

Wir haben vor etwa 10 Jahren angefangen einen unserer Schwerpunkte auf Demokratiebildung und -erziehung zu legen. Eine ganz wichtige Sache ist, dass wir, solange wie es die Juniorwahl gibt, an der Juniorwahl teilnehmen. Und im Rahmen dieser Juniorwahl ist uns vor einigen Jahren die Idee gekommen, ein Kandidaten-Speeddating zu veranstalten. Die Schüler, die dabei beteiligt sind, finden das immer sehr spannend, dass Kandidaten und Politiker auch normale Menschen sind und auch
die Kandidaten sind oftmals dankbar für ein unkompliziertes Format. Wir finden einfach persönlich, dass eine Podiumsdiskussion nicht mehr zeitgemäß ist, jedenfalls nicht für unsere Schüler. Wenn Politiker miteinander auf einer großen Bühne über politische Themen austauschen und der wählende Bürger darf still zuhören – das kommt nicht so gut an.

Darüber hinaus haben wir auch begonnen, unsere Schüler auf andere Weise mit Verantwortungsträgern in Kontakt zu bringen. Wir laden also Abgeordnete ein und es waren auch schon verschiedene Minister von Landes- und Bundesebene hier zu Gast. Wir gehen natürlich auch mit unseren Schüler nach draußen und besuchen mit Klassen den Thüringer Landtag, den Bundestag und es gab auch schon für kleinere Gruppen die Möglichkeit nach Brüssel oder Straßburg zu fahren. Wir besuchen auch Betriebe und Forschungseinrichtungen, insbesondere solche, die mit europäischen Mitteln gefördert werden, und sprechen dort mit Geschäftsführern. So erleben die Schüler, neben dem Einblick in betriebliche Abläufe, wie die EU das Leben und Arbeiten vor Ort unmittelbar beeinflusst. Wir haben auch schon zweimal an der Aktion „Prominent gegen Rassismus“ teilgenommen. Wir versuchen also immer wieder die Möglichkeit zu bieten, Schüler auf Augenhöhe mit verantwortungsstarken
Persönlichkeiten in Kontakt zu bringen.

Viele dieser Projekte, die Sie gerade beschrieben haben, zeichnen sich dadurch aus, dass Sie diese schon lange Zeit anbieten. Stellen Sie dabei Veränderungen fest, die sich in oder aus den Projekten ergeben?

Ich bin natürlich nicht selbst bei jedem Projekt dabei und es sind ja auch immer wieder verschiedene Klassen. Aus der Beobachtung kann ich aber sagen, dass ich den Eindruck habe, wenn eine solche echte Begegnung stattgefunden hat, dass das wirklich bei den Schülern etwas bewegt. Da hat man schon den Eindruck, sie interessieren sich danach mehr für Politik und wenn man das im Unterricht im Nachhinein nochmal aufarbeitet und bespricht, kann man auf die Begegnungen zurückgreifen und Beziehungen herstellen.

Was ich auf jeden Fall festgestellt habe, ist, dass das Aggressionspotential seitdem wir die Öffnung der Schule zu Themen der Demokratie verstärkt betreiben, nachgelassen hat. Als ich 1992 hier angefangen hab, da gab es auch noch Konflikte, bei denen ein Stuhl geschmissen wurde. Daran kann ich mich in den letzten zehn
Jahren nicht mehr erinnern. Das hat sicher zum einen etwas damit zu tun, dass es heute insgesamt von der räumlichen Situation und Klassenstärke etwas entspannter ist. Aber ich denke, dass auch die Demokratiebildung dazu geführt hat, dass einfach das Verhältnis zwischen Lehrern, Schülern und Schulleitung entspannter ist.

Und was würden Sie als wichtige Bedingungen für eine erfolgreiche Durchführung von Demokratieprojekten sehen?

Man braucht vor allem eine Schulleitung, die das mitträgt. Und die mutig ist, neue Formate ausprobieren, auch wenn man im Nachhinein feststellt, diese so nicht zu wiederholen. Und man braucht natürlich Lehrkräfte, die sich engagieren. Das ist vor allem eine Teamleistung. Dass man vielleicht auch nicht auf die Uhr guckt und sagt: Gut, normalerweise hätte ich heute um 14 Uhr Schluss, jetzt bin ich aber auf einer Exkursion und komme später nach Hause. Die Zeit kriegt man nämlich auch später zurück, weil die positiven Wirkungen im Unterricht zu spüren sind und das Arbeiten erleichtern.

Des Weiteren ist es auch wichtig, darauf zu achten, für welche Schülergruppe welches Angebot geeignet und besonders wirksam ist. So sind unsere Schüler, die ihren Realschulabschluss bei uns erwerben wollen, für gewöhnlich weniger mobil als zum Beispiel unsere Bankkaufleute. Viele von ihnen waren z. B. noch nie in Berlin oder sind noch nie U-Bahn gefahren. Deswegen versuchen wir besonders mit ihnen Exkursionen in den Bundestag durchzuführen. Bei diesen Schülern wirken diese Exkursion am stärksten nach, habe ich das Gefühl.

Gibt es Unterstützungswünsche für die Umsetzung von Demokratiebildung an Schule?

Was ich mir wünschen würde, insbesondere in Jena, ist ein bisschen mehr Aufmerksamkeit durch die Presse zu erhalten. Das hat in den letzten Jahren sehr abgenommen. Und dann würde ich mir auch wünschen, dass man schöne Räume hätte, auf die man ohne viele Hindernisse und hohe Kosten zugreifen könnte, wenn man Veranstaltungen mit externen Gästen hat oder Platz braucht für Planspiele beispielsweise.

Als weitere Anregung hätte ich außerdem noch für die Besuche im
Landtag, dass die Begleitmaterialen und das Angebot unbedingt aktualisiert, online gestellt und insgesamt auch niedrigschwelliger gestaltet werden muss. Der Besucherdienst hat sich schon etwas verbessert in den letzten Jahren, aber da ist noch sehr viel Luft nach oben!

Vielen Dank.

Kontakt
Ilka Maria Hameister
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der Politik der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Adresse Carl-Zeiß-Straße 3
07743 Jena
Telefon:  +49 3641 945425