In böhmischen Dörfern und im Thüringer Becken
Diskriminierungserfahrungen in öffentlichen Verkehrsmitteln
Öffentliche Verkehrsmittel dienen dazu, Menschen von einem Ort zu einem anderen zu bringen. Die Fahrgäste kennen sich meist nicht, verbringen aber eine begrenzte Zeit zusammen auf (teils sehr) engem Raum. Das stimuliert einige von ihnen dazu, ihren (un)menschlichen Regungen nachzugehen. Trauriger Höhepunkt war der rassistische Angriff auf einen jungen Syrer in einer Erfurter Straßenbahn, der derzeit vor dem Erfurter Landgericht verhandelt wird.
Als ich vor vier Jahren im Rahmen der 60. Geburtstagsfeier eines Freundes in einer Gruppe offensichtlich älterer queerer Männer in Nordböhmen den dortigen Schienenersatzverkehr nutzte, gab es seitens einiger jüngerer Mitreisender abschätzige Bemerkungen, die wir – auch ohne Tschechisch zu sprechen – sehr wohl wahrnahmen. Zum Glück blieb es dabei und wir konnten schnell wieder unserer Feierlaune nachgehen. Solch offenkundige Diskriminierung von Menschen, die „anders“ als eine vermeintliche „Mehrheit“ sind, können überall geschehen – im Bus zwischen zwei böhmischen Dörfern wie auch in das Thüringer Becken durchquerenden Zügen.
Vor zwei Jahren fahre ich nach einer Sitzung des Geschäftsführenden Vorstandes der GEW Thüringen mit dem Zug zurück nach Nordhausen und treffe dort einen unserer Studenten. Er ist aus dem Libanon und spricht fließend Russisch, Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch. Wir unterhalten uns angeregt – aber nicht sehr laut – auf Französisch, weil wir beide gerne die Gelegenheit nutzen, in dieser Sprache zu kommunizieren, um in Übung zu bleiben. Aus der nächsten Sitzreihe ernten wir böse Blicke, geradezu so, als ob man uns „Amtssprache ist Deutsch“ zuraunen wollte. Die böse Blicke werfende Person steht schließlich auf, schaut uns kopfschüttelnd an und setzt sich in den anderen Teil des Zuges. „Ihr seid nicht willkommen“ war die deutliche Botschaft. Als ich am nächsten Tag die Geschichte einer Studentin erzähle, die außer Deutsch, Französisch und Englisch auch Arabisch spricht, sagt sie:
„Seien Sie froh, dass Sie nicht Arabisch gesprochen haben. Dann geht es richtig zur Sache. Die Reaktionen Mitreisender bei Englisch oder Französisch sind meist noch harmlos im Vergleich zu Arabisch“.
Ausprobieren kann (und möchte) ich das aber nicht. Studierende, die in den letzten Jahren einen Erasmus+-Aufenthalt in Polen oder Litauen gemacht haben, berichten mir manchmal von ähnlichen Erfahrungen bis hin zu tätlichen Übergriffen, offenbar nur weil sie im Trolleybus Englisch oder in der Straßenbahn Deutsch gesprochen haben.
Szenenwechsel. Erfurt Hauptbahnhof, ein Donnerstagabend gegen 20 Uhr.
Auf dem Weg zum Zug sehe ich, wie die Bundespolizei gezielt Personen, die so aussehen, als wären sie nicht „deutschstämmig“, herausgreift, um Identitätskontrollen durchzuführen. Ich stelle mich brav an und zeige meinen Personalausweis vor, worauf ich eine ungläubige Reaktion der Bundespolizisten ernte. Selbstverständlich bräuchte ich mich nicht auszuweisen. Auf meine Frage nach dem Grund wird mirgeantwortet, dass Ziel dieser Kontrollen das Auffinden illegaler Migrant*innen sei, ich wäre daher nicht die Zielgruppe. Aha!
Mein Hinweis auf die Unzulässigkeit von Racial Profiling kommt an, immerhin folgt mir einer der Bundespolizisten bis in den Zug und führt mit mir – bis zur Abfahrt des Zuges – eine Diskussion über die Angemessenheit seines und meines Verhaltens. Als Vater einer unserer Studentinnen sorge er sich außerdem um deren Studium…
RACIAL PROFILING |
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Was tun als Opfer oder Zeuge:in von Polizeigewalt?! Publikationen und Links zu Racial Profiling: |
Wie sollen sich Menschen, die etwa wegen ihres Aussehens oder der Sprache im Zug bedroht werden, an eine Racial Profiling praktizierende Bundespolizei wenden und Gehör finden?
Zumal es dieses Jahr in der Weihnachtszeit wieder sehr bodenständig „deutsch“ zugehen wird: Gruppen alkoholüberfüllter grölender Menschen, deren lallende Sprache nur noch ansatzweise als Deutsch mit Thüringer Prägung zu erkennen ist, übervölkern die letzten von Erfurt ins Umland ausgehenden Züge. Aggressionen gibt es untereinander, die wenigen nicht-Alkoholisierten ziehen sich eingeschüchtert zurück und wollen unerkannt bleiben, sofern möglich. Bei meiner letzten derartigen Fahrtgab es zum Glück weder Tote noch Verletzte. Ich selber bin ganz gut davongekommen, nur ein Mitreisender hatte seinen Glühwein über meine Hose und Schuhe ergossen – das Erbrochene behielt er aber für sich.
Ich frage mich, ob es so sein muss, dass Menschen, die auf irgendeine Weise „anders“ sprechen, aussehen oder sich verhalten, im öffentlichen Raum und gerade in öffentlichen Verkehrsmittel Angst vor Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt haben müssen. Wer aufmerksam durch das Leben geht, kann ähnlich gelagerte Vorkommnisse nahezu tagtäglich beobachten. Bedarf es nicht mehr Zivilcourage von uns allen, schon Ansätzen diskriminierenden Verhaltens entgegenzutreten? Nicht nur in öffentlichen Verkehrsmitteln oder auf der Straße, sondern überall, in Familie, Freundeskreis und Beruf, im Verein und auch in der Gewerkschaft.
99096 Erfurt