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Gastbeitrag

Diskrimimierungskritische und diversitätsorientierte Professionalisierung von Fachkräften

Das Projekt „Perspektivwechsel – Praxisstelle Thüringen“ des Kompetenzzentrums für Prävention und Empowerment (ZWST) arbeitet seit 2007 in Thüringen mit unterschiedlichsten Zielgruppen der Verwaltung, Sozialen Arbeit und Jugendarbeit – aber auch schwerpunktmäßig mit Pädagog*innen im schulischen und außerschulischen Bereich.

So werden Fachkräfte in ihren spezifischen Arbeitsfeldern zu den Themen Diversitätsorientierung und Antisemitismus- sowie Rassismuskritik professionalisiert. Ziel ist es, die Handlungsfähigkeit von Fach- und Führungskräften in diesen Themenfeldern zu stärken und es ihnen zu ermöglichen, diese aktiv ins berufliche Selbstverständnis zu integrieren. Dafür entwickelt die Praxisstelle wirksame Bildungsformate und qualifiziert ihre Zielgruppen im Rahmen von Fort- und Weiterbildungsangeboten. Über einige langfristige Kooperationen (z. B. mit dem Institut für Erziehungswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung – Fachbereich Polizei in Meiningen, Fachhochschule Erfurt) ist die Praxisstelle auch in Studium und Ausbildung tätig. Dabei werden Sensibilisierungs- und Professionalisierungsprozesse – stets verbunden mit praxisbezogenen Fragen und Anliegen – angestrebt. Das Projekt will mittel- bis langfristig für die bleibende Relevanz von Diskriminierung sensibilisieren sowie die entsprechenden Regelstrukturen für diese Themen und den damit verbundenen Bedarf öffnen.

Welcher Ansatz wird verfolgt?

Das Projekt arbeitet seit 15 Jahren mit dem Anti-Bias-Ansatz und dem darauf aufbauenden projekteigenen „Dialogischen Re flexionsansatz“1 (DiRA 2012). Beide Ansätze zielen auf kritische Selbstreflexion und Praxisanalyse in den genannten Themenfeldern. Diese Ansätze sind getragen von unseren Grundannahmen und Praxiserfahrungen, dass Fachkräfte für diese Themen nicht nur sensibilisiert, sondern auch gestärkt sein müssen, um handlungsfähig zu sein. Sie müssen ihrerseits die Möglichkeit bekommen, sich themenbezogen mit der Heterogenität ihrer zukünftigen Zielgruppen auseinandersetzen, ihre eigenen gruppenbezogenen Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen, aber auch ihre Erfahrungen, Reaktionsmustern und Verunsicherungen in den Blick zu nehmen. Erst dann können sie mit größerer Klarheit und Offenheit ihren Zielgruppen diskriminierungskritisch und diversitätsorientiert begegnen. In der Normalität unserer Post-Migrationsgesellschaft2 ist eine Bandbreite an Religionen, Weltanschauungen, Sprachen und soziokulturellen Hintergründen anwesend, die einerseits wichtige Quellen für Identitäten und Zugehörigkeiten sind. Andererseits gibt es in dieser diversen Gesellschaft aber auch Konfliktlinien, soziale Ungleichheiten, wirkmächtige Machtverhältnisse und explizite Gewalt gegenüber sogenannten Minderheiten. Dies haben z. B. der antisemitische Terroranschlag von Halle im Oktober 2019 und die rassistischen Morde von Hanau im Februar 2020 mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt.

Defizite in der Ausbildung in Thüringen

Fachkräfte stehen vor der Herausforderung, mit ihren sehr heterogenen Zielgruppen kompetent und auf Augenhöhe umzugehen. Dazu sind unterschiedlichste Fähigkeiten erforderlich, z. B. eine sensible Sprache, die Unterschiede besprechbar macht ohne erneut stereotyp etwas zuzuschreiben; Wissen um strukturelle Ungleichheiten und ihre Auswirkungen auf Einzelne und Gruppen; Diskriminierung erkennen bzw. auf diskriminierende und gewaltvolle Vorkommnisse in ihrer Praxis kompetent reagieren zu können usw.

Unsere langjährigen Erfahrungen zeigen, dass viele Fachkräfte diese Räume nur sehr selten in ihrer Ausbildung oder dem Studium bekommen und die Angebote oftmals dankbar angenommen werden. Auch die Forschung zu Demokratiebildung in Professionalisierungsprozessen3 des KomRex hat gezeigt, dass es hier besonders an den Thüringer Universitäten Defizite gibt. Die Studierenden, die in den letzten Jahren z. B. die Trainings an der Uni Jena absolviert haben, stuften in den Evaluationen durchgängig das Erlernte als sehr relevant für ihre zukünftige Berufstätigkeit ein. Derzeit stellen diese Angebote jedoch nur eine Ergänzung zum Studium dar und schließen so dort entsprechende inhaltliche Lücken.

Was sinnvoll und notwendig ist

Die Implementierung dieser Themen in den Curricula der Universitäten, Fachhochschulen, Ausbildungsstätten und Berufsschulen wäre eine sehr wünschenswerte Entwicklung, die aber vor allem eine politische Aufgabe darstellt, welche von den Fachkräften und den entsprechenden Verbandsstrukturen nur unterstützt werden kann.


1 Zum Dialogischen Reflexionsansatz siehe: Chernivsky, Marina/Friedrich, Christiane/ Scheuring, Jana (Hrsg.): Praxiswelten – Zwischenräume der Veränderung, 2020 (2. Auflage): S. 22-28; 98-108. www.zwst-perspektivwechsel.de/archiv (letzter Zugriff: 02.11.2020).

2 www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/205183/integration-in-der-postmigrantischen-gesellschaft (letzter Zugriff: 02.11.2020).

3 Damerau, F., May, M., & Patz, J.: Demokratiebildung in Professionalisierungsprozessen: Eine Analyse der Thüringer Ausbildungssituation in ausgewählten Regelstrukturen sozialer Berufe. Jena 2017.

Kontakt
Jana Scheuring
Bildungsreferentin und pädagogische Leitung in der Perspektivwechsel - Praxisstelle Thüringen