Zum Inhalt springen

Die unterfinanzierte Thüringer Schule 2017 – eine Beschreibung des Ist-Zustands

Der Bildungsbereich ist in Thüringen chronisch und deutlich unterfinanziert. Dieses Grundproblem hat sich mit der rot-rot-grünen Landesregierung, mit der so viele Hoffnungen verbunden waren, leider nicht grundlegend verringert. Die Möglichkeit der Kurskorrektur war und ist da, die Steuereinnahmen sprudeln, Haushaltsüberschüsse werden erwirtschaftet, die Bedarfe sind klar und öffentlich durch die GEW Thüringen und durch andere Experten benannt – allein es fehlt der politische Wille und der Mut, die Bildungsausgaben signifikant zu steigern. Und weil das enttäuschenderweise so ist, haben sich die vielen Einzelprobleme im Bereich Schule weiter vergrößert bzw. können schlichtweg nicht angegangen werden.

Im Folgenden eine Aufzählung der Einzelprobleme (ohne Anspruchauf Vollständigkeit):

  • Hoher Altersdurchschnitt der Beschäftigten (schulartbezogen zwischen50 bis 55)
  • Hohe Anzahl von Langzeitkranken 4,0 % (schulartbezogen bis 6,0%)
  • Quote Krankenstand zeitweise bis 10% (ältere Beschäftigte werdennicht öfter, aber länger krank)
  • Bedarfsdeckende Unterrichtsabsicherung ist nicht mehr gewährleistet(mit Beginn des Schuljahres an Regelschulen 4,4%, Gymnasien3,7% und Grundschulen 2,2% Unterrichtsausfall)
  • Offiziell beim Unterrichtsausfall nicht mitberücksichtigt werden u.a.planmäßige Stundentafelkürzungen, Klassenzusammenlegungen,fachfremder Unterricht, …
  • Regelmäßige Anweisung von nicht abgeltbarer Mehrarbeit– Pflichtstundenerhöhung
  • Angekündigte notwendige Entlastungen (wie im Personalentwicklungskonzept2013 vereinbart) finden nicht statt
  • Anzahl der Neueinstellungen deckt den Ersatzbedarf nicht ab
  • Befristete Einstellungen sorgen für „Unruhe“, u. a. wegen fehlenderPlanbarkeit für die Betroffenen und die Schulen

Problem: Keine Fortschreibung des PersonalentwicklungskonzeptsSchule (PEK)

Die Grundlage für die Erstellung und den Abschluss zum Personalentwicklungskonzept am 3. Juli 2013 war die Verständigung auf eine realistische statistische Grundlage zur Ermittlung des zukünftigen Bedarfes an Lehrerinnen und Lehrer, in 2014 auch für die Erzieherinnenund Erzieher sowie die Sonderpädagogischen Fachkräfte.Ausgehend von einer Prognose der Schüler*innenzahlen, dem daraus resultierenden Lehrer*innengrundbedarf und der Entwicklung des Lehrer*innenbestandes steht im Ergebnis der sogenannte Lehrer*innenersatzbedarf. Ausgegangen ist man von einer konsequenten Fortschreibung in den Folgejahren, um auf notwendige Veränderungen im Lehrerersatzbedarf reagieren zu können. Das ist nicht geschehen! 

Ergebnis: Trotz hoher Bewerberzahlen in den Einstellungsrunden und nunmehr500 Neueinstellungen kann der Unterricht in den Thüringer Schulennicht mehr flächendeckend und bedarfsgerecht abgedeckt werden.Es ist zu bezweifeln, dass die nun angekündigte Aufstockung der Einstellungszahlenden Bedarf deckt.

Problem: Steigende Schüler*innenzahlen bei sinkendem PersonalbestandEntwicklung der Prognosen der Schüler*innenzahlen 

Entwicklung des Bestandes Lehrer*innen

(Quelle: www.schulstatistik-thueringen.de, * Basis Ergebnisse der 12. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (PEK 2013) **, *** Basis 1. Regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung (TLS))

Das bedeutet:

  1. Im Zeitraum von 2010 bis 2016 hat sich der Lehrer*innenbestand bereits um 1.913 Personen, d.h. um 10% verringert
  2. Die Anzahl von Personen, die sich nicht im Einsatz in der Schule befinden, wird mit der nun auslaufenden Altersteilzeit (2019) abnehmen und dann ca. 1000 VZB betragen.

Problem: Es werden zu wenige Lehrer*innen ausgebildet

Anzahl der Lehramtsanwärter*innen (Quelle: www.schulstatistik-thueringen.de)

Die Anzahl der Lehramtsanwärter sollte laut Koalitionsvertrag kontinuierlich auf 1200 erhöht werden. Dies spiegelt sich aber nicht im Haushalt der Thüringer Landesregierung wieder. Real wurden im Schuljahr 2015/16 nur 823 Lehramtsanwärter*innen eingestellt. Mittlerweile zeichnen sich selbstverschuldete Kapazitätsprobleme in der Lehrer*innenausbildung ab. Im Vergleich mit anderen Bundesländern ist zu beachten, dass in Thüringen die Lehrer*innenausbildung in der zweiten und dritten Phase in großen Teilen mit Lehrerinnen und Lehrern abgedeckt wird. Das ist, im Zusammenhang mit der mangelnden Unterrichtsabsicherung, ein zu großer Spagat.

Problem: Ungesunde Altersmischung und Überalterung der Lehrer*innen

Der Altersdurchschnitt, der je nach Schulart variiert, betrug am Ende des Schuljahres 2015/16 51,3 Jahre. (Quelle: www.schulstatistik-thueringen.de)

Mit den Neueinstellungen wird eine faktische Absenkung des Altersdurchschnitts einhergehen, aber noch lange keine gesunde Altersmischung. Neben der Schaffung alternsgerechter Arbeitsbedingungen müssen Grundlagen für einen guten Berufseinstieg und die gemeinsame Arbeit in Schule geschaffen werden.

Problem: Mehr Lehrer*innen scheiden altersbedingt aus als neu eingestellt werden

Verringerung des Lehrerbestandes durch Ausscheiden aus dem Dienst

Jahr/Schuljahr2013*2017**
2016/17728420
2017/18766881
2018/19845881
2020/21862869
2021/2210061002
2022/23970948
Gesamt51774849

* Grundlage Altersübergangsquoten der vergangenen Jahre
** Berechnungen ZG LFD
(Quellen: PEK Schule 2013, PEK 2025 der Landesregierung) 

Beide Berechnungen führen letztendlich zum gleichen Ergebnis: In den nächsten 5 Jahren werden knapp 5000 Beschäftigte aus dem Thüringer Schuldienst altersbedingt ausscheiden. Bis 2025 werden es insgesamt über 7.500 Beschäftigte sein.

Problem: Mangelnde Vertretungsreserve

2013 wurde bereits im Personalentwicklungskonzept festgeschrieben, dass der Lehrer*innengrundbedarf mit dem vorhandenen Personal nicht ausreicht, um Vertretungen im Krankheitsfall abzusichern. Wie in anderen Bundesländern auch üblich, wurde die Einrichtung einer Vertretungsreserve (Höhe und Verfahren der Umsetzung) vereinbart. Grundlage der Berechnung soll der jeweilige Lehrer*innengrundbedarf sein. In der Umsetzung soll ein Vertretungspool für längerfristigen Ersatz und ein Vertretungsbudget auch für kurzfristige Vertretungsmöglichkeiten eingerichtet bzw. den Schulämtern zur Verfügung gestellt werden. Begonnen werden sollte mit einer Höhe von 4 % des Lehrer*innengrundbedarfes, um später auf bis zu 6% aufgestockt zu werden. Dies würde den aktuellen Zahlen der Langzeitkranken in unseren Schulen entsprechen, aber nicht die gesamte Krankenstandsquote von bis zu 10% abdecken. 

Ohne ausreichende Vertretungsreserve wird/kann es keine Entlastung für unsere Kolleginnen und Kollegen an den Schulen geben, so steigt der Krankenstand weiter!

Vertretungsreserve (PEK 2013, aktualisiert 2016) 

SchuljahrLehrer*innengrundbedarf in VZBVertretungsreserve 4%Vertretungsreserve 6%
2016/2017 14.988 599 899
2017/2018 15.056 602 903
2018/2019 15.103 604 906
2019/2020 15.139 605 908
2020/2021 15.134 605 908
2021/2022 15.084 603 905

* in VZB, Berechnungsgrundlage 2016 vgl. Übersicht 2

Geschätzte notwendige Investition: 30 Mio. € für eine Vertretungsreserve in Höhe von 4%!

(Zugrunde gelegt wurden 600 VZB mit E 11 Stufe 3 inclusive Sozialabgaben durch den Arbeitgeber, mit E 13 Stufe 3 ergibt sich ein Bedarf von 36 Mio. €)

Problem: Die Bezahlung der Thüringer Regelschullehrer*innen und das Aussetzen von Beförderungen seit 2011

Jeder weiß es – das Bildungsministerium, das Finanzministerium, die Landesregierung – : Wir haben in Thüringen ein Problem im Wettbewerb um die Einstellungen von Regelschullehrer*innen. Alle Bundesländer haben ihre Tätigkeit aufgewertet und gruppieren in die EG 13 bzw. A 13 ein. Eine Einstellung als Beamter in die A 12 oder in die EG 11 im Eingangsamt in Thüringen ist nicht attraktiv!

Und: Seit 2011 hat es in Thüringen keine Beförderungen für Lehrer-*innen gegeben, auch das spricht sich rum. Keine Lehrer*innen – keine Schule! Der Haushalt des Landes Thüringen 2016/2017 (Kapitel 04) sieht für Lehrer*innen an Regelschulen in der Besoldungsgruppe A 13 1.691 Stellen, in der A 12 1.355 Stellen und in der Entgeltgruppe E 11 193 Stellen vor. Für Lehrer*innen an Thüringer Gemeinschaftsschulen sind in der A 13 182 Stellen und in der A 12 379 Stellen geplant. Da es sich bei der A 12 bzw. in der E 11 jeweils um Eingangsämter handelt und seit 2011 keine Beförderungen stattgefunden haben, können die Zahlen abweichen. Legt man für die Berechnung der zusätzlichen Finanzmittel für die gerechte Eingruppierung Lehrerinnen und Lehrer in den Regel- und Gemeinschaftsschulen in die A 13/E 13 die Differenz von ca. 10.000 € zugrunde (E 11 Stufe 3 und E 13 Stufe 3), ergibt sich ein zusätzlicher Finanzbedarf von mindestens 12 Mio. € (abhängig vom Verhältnis von Tarifbeschäftigten und Beamten).

Gute Bildung gibt es nicht umsonst. Es müssen mehr Haushaltsmittel in den Bildungsbereich fließen!

Die immer wieder angeführten Vergleiche mit den anderen Bundesländern durch die KMK und das Bundesamt für Statistik gilt es kritisch und auch selbstkritisch zu hinterfragen. Lehrer*innen-Schüler*innen-Relation, Schüler*innen pro Klasse sehen in der Realität in Thüringen anders aus. Dazu gehören auch die Eckwerte für die Berechnung der Ausgaben eines Landes pro Schüler*in. Des Weiteren ist zu hinterfragen, warum die notwendigen Ersatzeinstellungen im Rahmen des Stellenplans im Thüringer Haushalt in den letzten Jahren nicht ermöglicht wurden.

Wir, die GEW Thüringen, bleiben dran!

Bärbel Brockmann