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Zur aktuellen Debatte

Die SWK-Empfehlungen und das Merten-Papier

Erst die Empfehlungen der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK), die deutlich zu Lasten der Lehrkräfte gehen, und dann noch die Vorwürfe von Prof. Merten, dass es gar keine Lehrkräftemangel gibt, es seien doch genügend da, nur falsch eingesetzt. Die Aufregung und die Empörung der Thüringer Lehrkräfte war und ist groß – und das zu Recht. Unsere Landesvorsitzende ordnet die Debatte ein und sagt, was aus Sicht der GEW Thüringen schon seit langem und aktuell umso dringender zu tun ist.

Was war die Ausgangslage?

Der Lehrkräftemangel ist nun endlich auch in der öffentlichen Debatte angekommen. Die GEW hat bereits seit langer Zeit davor gewarnt, allerdings vergeblich. Insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern zeichnete sich durch den anstehenden Generationenwechsel eine dramatische Situation ab. Auch die in der Summe wirklich gestiegenen Neueinstellungen sowie die Anhebung der Bezahlung von Regel- und Grundschullehrkräften konnten den Trend nicht mehr umkehren. Die Zahl der Lehramtsstudierenden reicht einfach nicht aus, freigewordene Stellen zeitnah und fachgerecht zu besetzen.

Die KMK hat noch vor einigen Jahren das Problem Lehrkräftemangel ignoriert. Es wäre hilfreich gewesen, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, den Lehrkräftebedarf erstens zielgenau zu erheben und durch eine Änderung der Ausbildung inklusive der Steigerung ihrer Kapazitäten und eine Nachqualifizierungsstruktur zu bedienen. Diese Chance wurde vertan.

Was steht in den SWK-Empfehlungen und was meint die GEW (Thüringen) dazu?

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK (SWK) zielt in erster Linie auf die Erschließung von Beschäftigungsreserven ab. D.h., Lehrkräfte sollen länger im Dienst bleiben, Pflichtstunden erhöht, Altersabminderungen gesenkt und Teilzeitmöglichkeiten eingeschränkt werden. Alles Maßnahmen, die ausschließlich zu Lasten der Lehrkräfte gehen. Dagegen fallen die Empfehlungen zur Entlastung von Organisations- und Verwaltungsaufgaben, Nachqualifizierungen usw. eher dürftig aus. Nahezu absurd sind die Empfehlungen zur Gesundheitsförderung, weil sie strukturelle Probleme einer individuellen Problemlösung zuzuführen versuchen.

Die GEW und auch unser Landesverband halten die Empfehlungen für realitätsfremd. Das 15-Punkte-Programm gegen Lehrkräftemangel, das auch hier in der tz bereits veröffentlicht wurde, macht völlig gegenläufige Maßnahmen aus, u.a. kleinere Klassen und Senkung der Pflichtstunden. Konsens ist, dass Versäumnisse der Bildungspolitik nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte beseitigt werden dürfen.

Was steht im Merten-Papier und was meint die GEW Thüringen dazu?

Prof. Merten ist der felsenfesten Überzeugung, dass es in Thüringen keinen Lehrkräfte-, sondern nur einen Stundenmangel gibt. Er beweist dies vermeintlich an der Zahl der Abminderungsstunden, die korrekterweise Anrechnungsstunden heißen müssten. Allerdings liegen seiner These falsche Annahmen zugrunde und er nutzt auch nur Zahlen, die seiner These entsprechen. Wir lehnen seinen Vorschlag nicht nur auf der Sachebene ab. Seine Äußerung, Lehrkräfte würden die ihnen zustehenden Anrechnungsstunden zweckwidrig zur Flucht aus der Unterrichtsverpflichtung nutzen, ist frech, falsch und verleumdet einen ganzen Berufsstand. Er hat mit diesem Papier die dringend notwendige Debatte, wie wieder qualitativ hochwertiger Unterricht für alle Schüler:innen organisiert werden kann, vergiftet. Das tat nicht not, nicht in dieser Krisensituation.

Wie verlief die Debatte bisher?

Über Schule dürfen alle reden, weil alle mal in der Schule waren. So scheint es jedenfalls oft zu sein. Jede:r meint, Expert:in zu sein und zu wissen, wie Schule organisiert sein muss, um effektiv zu sein. Dabei ist Schule so viel mehr.

Die GEW Thüringen hat sowohl die Stellungnahme der SWK als auch das Merten-Papier kritisiert und dafür viel positive Rückmeldungen von GEW-Kolleg:innen erhalten. Auch wenn manchen unsere Positionierung zu zahm erschienen mag, hier ein Beispielkommentar von unserer Webseite:

„Auch wenn ich einzelne Punkte des Merten-Papiers nachvollziehen kann, wie z.B. das Hinterfragen mancher Abminderungsstunden (nicht der Altersabminderung, die es im Gegenteil auch in anderen Berufen mit hoher Belastung geben sollte) und auch Ländervergleiche, wenn sie Besonderheiten beachten, legitim finde - bin ich einigermaßen fassungslos, aus welcher Höhe, mit welcher Arroganz hier ein ehemals politisch Verantwortlicher die gesamte Lehrerschaft und ihre Interessenvertretungen vorzuführen versucht. Als bestünde nicht sowieso ein Problem der Attraktivität des (tatsächlich auskömmlich vergüteten) Lehrerberufs in seinem schlechten Image bei der Bevölkerung, wird hier populistisch jedes negative Klischee bedient. Sich als von Untis (elektronischer Stundenplan), dem Bemühen, die Digitalisierung des Unterrichts sinnvoll(!) umzusetzen und von einer zunehmend schwierigen Klientel gehetzter Pädagoge mit hohem Vor- und Nachbereitungs- sowie Verwaltungsaufwand ausgerechnet von einem echten Top-Verdiener mit völliger beruflicher Gestaltungsfreiheit (maximal 4 SWS Unterrichtsverpflichtung bei 15 (Wintersemester) plus 14 (Sommersemester) Wochen, das heißt 116 * 45 Minuten = maximal 87 Stunden unterrichtender Tätigkeit pro Jahr (sic!) mit geringem Vorbereitungsaufwand), derart blöd kommen lassen zu müssen, ist schon ein starkes Stück. Dass der Herr sich dabei noch erdreistet, mit billigen rhetorischen Tricks die zu erwartende Kritik zu delegitimieren, ist der Gipfel der Herablassung.“

Kommentar von Thomas Hübner auf unserer Internetseite.

 

Sechs zentrale Empfehlungen der SWK
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz spricht folgende Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel aus:

1. Erschließung von Beschäftigungsreserven bei qualifizierten Lehrkräften mittels Anpassung des Ruhestandseintritts, der Reduktion der Unterrichtsverpflichtung aus Altersgründen und der Teilzeitbeschäftigung an die aktuelle Situation; Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung in Anlehnung an das Konzept der Vorgriffsstunden; erleichterter Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen; Abordnung von Lehrkräften an Dienststellen mit besonderem Bedarf; Entlastung der Lehrkräfte von Organisations- und Verwaltungsaufgaben.

2. Ausweitung des Potenzials an qualifizierten Lehrkräften durch die Weiterqualifizierung von Gymnasiallehrkräften für andere Schulformen und durch die Nachqualifizierung in Mangelfächern.

3. Entlastung und Unterstützung qualifizierter Lehrkräfte durch Studierende und andere, formal nicht (vollständig) qualifizierte Personen.

4. Flexibilisierung des Einsatzes von Lehrkräften durch Hybridunterricht; Erhöhung der Selbstlernzeiten von Schüler:innen; Anpassung der Klassenfrequenzen.

5. Vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung mittels Achtsamkeitstrainings und eMental-Health-Angeboten; Coaching- und (Gruppen-) Supervisionsangeboten; Kompetenztrainings zur Klassen- und Gesprächsführung; niedrigschwelliger, gut zugänglicher Angebote; Sensibilisierung und Unterstützung von Schulleitungen; Bündelung von Angeboten an einem Ort und Optimierung des Informationsmanagements.

6. Bestandsaufnahme, Bewertung und Weiterentwicklung von Modellen des Quer- und Seiteneinstiegs.

 

Welche nächsten Schritte folgen bzw. müssen verhindert/gefördert werden?

Wir stehen mit dem Thüringer Bildungsministerium im Gespräch und werden es zu Verhandlungen zum Personalentwicklungskonzept auffordern. Es wird darauf ankommen, allen eventuell drohenden Maßnahmen klare Bedingungen und Grenzen zu setzen. Das wird für uns ein Spagat werden. Denn natürlich wollen wir als Bildungsgewerkschaft auch einen konstruktiven Beitrag zur Lösung der akuten Situation leisten. Dennoch ist es unser gewerkschaftlicher Auftrag, uns für die Interessen der Kolleg:innen einzusetzen.

Wie ordnen wir den bisherigen Stand ein?

Das Dilemma ist offensichtlich. Es fällt zu viel Unterricht aus. Zuletzt waren es 9,7 Prozent, davon 7,2 Prozent ersatzlos, die anderen durch planmäßige Stundentafelreduzierung. Mit Blick auf die Bildungschancen für die Kinder und Jugendlichen ist Abhilfe dringend geboten. Alle pädagogischen Schlussfolgerungen wie kleinere Klassen, weniger Pflichtstunden für mehr Qualität und eine Änderung der Lehrkräfteausbildung inklusive der Verbesserung des Seiten- und Quereinstiegs sind richtig und begründet, aber sie tragen nicht zu einer kurzfristigen Lösung bei.

Es kann nun aber nicht sein, wie Prof. Merten zu schlussfolgern, dass man am besten alle Altersabminderungen und Anrechnungsstunden abschafft, um das verfügbare Stundendeputat zu erhöhen. Zu befürchten ist dann, dass sich vor allem die überbelasteten Lehrkräfte ganz oder teilweise zurückziehen und sich damit die Situation weiter verschärfen würde. Trotz aller Not ist es ein Gebot der Stunde, sich das Gesamtsystem Schule anzuschauen und mögliche brachliegende Ressourcen zu heben.

Bei allen Überlegungen müssen zudem kurzfristige Effekte den langfristigen Wirkungen gegenüber gestellt werden. Zum Beispiel die Absenkung der Zugangsvoraussetzungen und teilweise auch beim Seiteneinstieg:

  • Kurzfristig erhalten damit Menschen Zugang zum Schuldienst, deren Potenziale super sind und die mit zunehmender Berufserfahrung auch immer weniger Unterstützung brauchen und damit zu echter Entlastung und mehr Unterricht führen. 
  • Langfristig aber stellt sich dann die Frage, warum Menschen überhaupt noch den klassischen Weg einer Lehramtsausbildung mit einem fünfjährigen Studium in zwei Unterrichtsfächern und dem sich anschließenden 18-monatigen Vorbereitungsdienst wählen sollten, wenn es auch anders geht.

In der Hoffnung auf ein Bildungsministerium und eine Landesregierung, denen Kinderrechte, Bildungsgerechtigkeit, gute Arbeit und Mitbestimmung wichtig sind, werden wir die kommende Zeit nutzen, zusätzliche Belastungen so gering wie möglich zu halten und für Entlastungen in anderen Bereichen zu sorgen. Das übrigens gelingt dann am besten, wenn sich möglichst viele Kolleg:innen aktiv einbringen, in die Positionsfindung - aber auch in die Werbung von neuen Mitgliedern.

Kontakt
Kathrin Vitzthum
Landesvorsitzende
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 12 (Sekretariat)