Zum Inhalt springen

Reaktion auf ZEIT-Artikel

Die Sprachförderung in der frühkindlichen Bildung muss besser werden!

Über einen ZEIT-Artikel, der mich aufregt, und die Erkenntnisse aus der NUBBEK-Studie von 2012.

Symbolbild - Quelle: Canva Pro

Ein weiterer Artikel zur umstrittenen Definition von „Schulfähigkeit„“ hat mal wieder den Weg in eine Zeitung geschafft. Dieses Thema bewegt nicht nur konkret viele Eltern, die sich für ihre Kinder einen guten Schulstart wünschen, sondern es wird sich in der Bildungswissenschaft weiterhin stark damit auseinandergesetzt. Der ZEIT-Artikel „Fördern statt Kuscheln“ regt mich in einer bestimmten Tonlage auf. Es ist Kritik an einem gewissen Mangel herauszulesen.

Unstete Finanzierungen, Sanierungstau, personeller Unterbesetzung,Befristungen

Dieser Mangel ist ohne Frage vorhanden, doch sind die Adressaten die falschen. Im Bereich der Frühkindlichen Bildung wird das Beste unter den bestehenden Bedingungen getan. Dabei müssen wir uns immer noch und in Zukunft noch mehr mit unsteter Finanzierung, Sanierungstau, personeller Unterbesetzung und verschiedenen befristeten Projekten auseinandersetzen, die aber an der grundlegenden Mangelversorgung seitens des Staates, der Länder, der Kommunen und der Städte nichts grundlegend ändern. Das lässt die Kräfte unseres pädagogischen Personals weiterhin rasant schwinden. Die Qualität und das Bildungsniveau lassen wohl bei Kindern, die in die Schule kommen, zu wünschen übrig. So die Meinung nicht nur des Zeit-Artikels, sondern auch ähnlich gelagerter Veröffentlichungen zur Problematik. Die Schule sieht sich nicht in der Lage, auf dieses unterschiedliche Bildungsniveau der Kinder einzugehen und der Lernmisserfolg setzt sich fort. Mit Blick auf die „Schulfähigkeit“ stellt sich die Frage, welche Kompetenzen Kinder im Zuge der frühpädagogischen Förderung in Kindergärten, Kinderkrippen und bei Tagespflegepersonen vor Schulantritt erlangen sollen. Und genau dort verzeichnete der ZEITArtikel „Kuscheln statt Fördern“ eben einen erheblichen Mangel an Sprachkompetenz der Erstklässler in den Schulen deutschlandweit. Dieser Mangel wurde aber nicht erst offensichtlich durch die Veröffentlichung in der Zeitung. Nein, denn der Mangel ist systembedingt und die Behebung dessen wird schon seit Jahren, besser gesagt seit Jahrzehnten eher stiefmütterlich behandelt. Konkret wird der Mangel nun aber auch sichtbar durch Langzeitige Studien, die einen größeren Zeitraum abdecken und sachliche Ergebnisse liefern, um eben argumentativ für die Politik gerüstet zu sein. Eine sehr aufschlussreiche Studie aus dem Jahr 2012 soll hier exemplarisch dienen, um die Ergebnisqualität in unseren Einrichtungen näher zu beleuchten.

Die NUBBEK-Studie [1]

In den letzten zehn Jahren haben alle Bundesländer Bildungspläne und Curricula für den vorschulischen Bereich entwickelt. Ebenfalls wurden Sprachförderprogramme aufgelegt, um Kindern aus bildungsfernen Familien und Kindern mit Migrationshintergrund einen erfolgreichen Schulstart zu ermöglichen. Darüber hinaus hat die akademische Ausbildung pädagogischer Fachkräfte einen nachhaltigen Schub erfahren; Trägerorganisationen von Kindertageseinrichtungen haben Anstrengungen im Qualitätsmanagement unternommen.

Das sollte doch zumindest zu einer erkennbaren Verbesserung der pädagogischen Arbeit mit Kindern führen, doch weit gefehlt. Der Mangel ist eklatant und wurde dank der Studie sichtbar gemacht: „Bei einem höheren Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in den Gruppen zeigen sich in allen IQS-Maßen (Integrierte Qualitäts- Skala, es meint verschiedene Merkmale in den drei unterschiedlichen Betreuungssituationen, wie Kinderkrippe, Kindergarten, familiäre Betreuung; Anm. d. Verf.) – unter Berücksichtigung verschiedener Kontrollfaktoren –niedrigere Werte der pädagogischen Prozessqualität. Bei offener Arbeit ergibt sich für die Kinder im Kindergartenalter eine höhere Prozessqualität (…) als bei gruppenbezogener Arbeit; dies gilt nicht für die Gruppen mit Kindern im Krippenalter.“

Starke familiäre Prägung und was daraus folgt

Interessant ist hier dargelegt, von was eigentlich frühkindliche Bildung ganz stark abhängig ist: „Der Bildungs- und Entwicklungsstand der Kinder hängt stärker mit Merkmalen der Familie als mit Merkmalen der außerfamiliären Betreuung zusammen. Diese Aussage gilt praktisch für jeden der untersuchten Bildungs- und Entwicklungsbereiche. Die Zusammenhänge mit den Familienmerkmalen sind z. T. um ein Vielfaches stärker als die mit den Merkmalen der außerfamiliären Betreuung.„“ Das ist nicht weiter überraschend. Es liegt aber somit ein wichtiger Grund vor, um die Familien noch gezielter zu unterstützen. Eine weitere Erkenntnis muss uns alle endlich zum Handel bewegen: „Kinder, die Gruppen mit höheren Anteilen von Kindern mit Migrationshintergrund besuchen, erfahren eine vergleichsweise schlechtere Prozessqualität. Dies gilt für die Gruppen mit Kindern im Kindergartenalter und im Krippenalter in gleicher Weise. Das Ergebnis zeigt, dass gerade diejenigen Gruppen in unserer heranwachsenden Bevölkerung, für die eine qualitativ hochwertige Betreuung besonders wichtig ist, eine geringere Chance hierzu haben.“ Eine wahre Integration sieht anders aus, eher ist eine Segregation an vielen Orten zu beobachten, die durch Verteilungsvorgaben des Bundes eher noch verstärkt wird. Aber nicht nur das bedarf eines politischen Gegensteuerns, sondern es gibt noch weitere Beweggründe aus der Studie, um allen Kindern eine gute Sprachfähigkeit zu ermöglichen:

 „Die Variable russischer bzw. türkischer Migrationshintergrund eines Kindes ist bei breiter Kontrolle von Faktoren der Orientierungs-, Struktur- und Prozessqualität in Familien und außerfamiliären Betreuungssettings mit einer geringeren deutschsprachlichen Kompetenz verbunden. Der im Test erhobene rezeptive deutsche Wortschatz fällt geringer aus, ebenso die von den Erzieherinnen eingeschätzten Kommunikationsfertigkeiten der Kinder, was angesichts der berichteten Familiensprachen wenig überrascht. Demgegenüber schneiden die Kinder mit Migrationshintergrund im Test der sprachunabhängigen Intelligenz (HAWIVA) zum Teil besser ab. Die Zusammenhänge sind bei den zweijährigen Kindern mit ihren geringeren außerfamiliären Betreuungserfahrungen ausgeprägter als bei den Vierjährigen, bleiben aber auch hier substanziell.“

 Die NUBBEK-Studie gibt uns umfangreiche Empfehlungen und Gedanken mit auf den Weg, weshalb Kinder mit Migrationshintergrund eine besonders gute Betreuungsqualität brauchen: „Kinder aus zugewanderten Familien gehören zu den Bevölkerungsgruppen, für die eine optimale Förderung vor Schulbeginn besonders wichtig ist, insbesondere wenn für sie Deutsch eine Zweitsprache ist. Jedoch weisen gerade diejenigen Einrichtungen mit vielen Kindern mit Migrationshintergrund eine besonders niedrige Prozessqualität auf. Im Rahmen kommunaler Bildungsplanung sollte der zunehmenden Segregation im Bildungswesen entgegengewirkt werden. Als Lösung hierzu bietet sich an, gerade diese Einrichtungen besonders zu fördern, durch hoch qualifiziertes Personal und günstige Rahmenbedingungen, wie z. B. einen verbesserten Erzieher-Kind-Schlüssel.“

Politischer Wille zur besseren Finanzierung ist notwendig

Die Verbesserung der Rahmenbedingungen ist aber kostspielig und bedarf des politischen Willens. Ohne eine weitere Konkretisierung der Finanzierungsregelung und der Verbindlichkeit der Qualitätsziele werden jedoch keine nachhaltigen Verbesserungen erreicht werden können. Demnach müssen in wesentlichen Fragen der Kita- Qualität verbindliche Grundlagen mit klar abgesteckten Zielen und verbindlichen Standards vor allem in der Strukturqualität geschaffen werden. Mit den Projekten „Vielfalt vor Ort begegnen“ des Landes Thüringen und den „Sprachkindergärten“, vom Bund initiiert, wurden entsprechende Angebote auf den Weg gebracht, bedürfen aber einer verstetigten Finanzierung und personellen Untersetzung. Es liegt an uns, wieder Druck aufzubauen, um denjenigen eine Stimme zu geben, die unsere Zukunft sind: den Kindern!

 


[1] NUBBEK – Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit Fragestellungen und Ergebnisse im Überblick, www.nubbek.de 

Kontakt
Jörg Vetter
Erzieher in Weimar