Teilerfolg
Die Lehrverpflichtungsverordnung an Hochschulen: Was lange gärt, wird endlich gut?
Es war ein langer Prozess, bis nach der Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes nun endlich auch die Thüringer Lehrverpflichtungsverordnung (LVVO) überarbeitet wurde. Im Rahmen von Stellungsnahmen und Anhörungen hatte die GEW aufgezeigt, wie die LVVO an die Entwicklungen im Bildungsbereich angepasst werden müsste. Einige unserer Forderungen wurden berücksichtigt.
Schon im Rahmen einer Anhörung zum ThürHG im Januar 2018 machte die GEW darauf aufmerksam, dass wir bei der Novellierung der LVVO größeren Handlungsbedarf erkennen. Die zunehmende Heterogenität der Studierendenschaft sowie der Aufwand, der mit dem Ausbau und Betrieb digitaler Lehrangebote verbunden ist, würde es gebieten, die Höhe der Lehrverpflichtung insgesamt auf den Prüfstand zu stellen und zumindest Erhöhungen aus den Jahren 2005/06 zurückzunehmen.
- 2005 LfbA an Universitäten, durchschnittlich 18 LVS (davor 12 bis 16 LVS) LfbA an Fachhochschulen durchschnittlich 24 LVS (davor 18 bis 22 LVS)
- 2006 Professor*innen an Universitäten 9 LVS (davor 8 LVS) (begründet durch die Erhöhung der Arbeitszeit der Beamt*innen von 40 auf 42 Stunden pro Woche)
Die großen Unterschiede der Deputate zwischen Universitäten und Fachhochschulen sind insbesondere bei den Lehrkräften für besondere Aufgaben (LfbA), die ausschließlich mit Lehraufgaben betraut sind, unseres Erachtens nicht zu begründen. Für die Wahrnehmung identischer Aufgaben müssen auch die gleichen Rahmenbedingungen gelten!
Geringere Studienabbruchquoten durch mehr Qualität in der Lehre möglich
Gestaltungsspielraum ergibt sich für die Hochschulen nun dadurch, dass die verbindliche Vorgabe von Durchschnittswerten für die Lehrverpflichtung für die Gesamtheit der LfbA an einer Hochschule entfiel. Bisher wurde vielfach der einfache Weg gewählt, d. h. wenn an einer Universität die durchschnittliche Lehrverpflichtung der LfbA 18 LVS betragen musste, wurden alle LfbA mit einer Lehrverpflichtung von 18 LVS eingestellt. Mit der neuen LVVO können die Bandbreiten von 14-20 LVS an Universitäten und 20-26 LVS an Fachhochschulen nun genutzt werden, ohne dabei bestimmte Ziel-Durchschnittswerte erreichen zu müssen.
Eine Steigerung der Qualität der Lehre wäre jetzt möglich, würde man sich an den Untergrenzen der Deputate orientieren.
Die gewonnenen Freiräume könnten zur Flankierung digitaler Lehrangebote und für Unterstützungsangebote außerhalb der Pflichtveranstaltungen genutzt werden, um somit einen zügigen Studienverlauf und eringere Studienabbruchquoten zu erreichen.
Sprachpraktischer Unterricht
Des Weiteren kritisierten wir die Anrechnungsfaktoren, die bspw. dazu führten, dass sprachpraktischer Unterricht nur zur Hälfte auf die Lehrverpflichtung angerechnet wurde.
Arbeitsverhältnisse
Hinterfragen kann man zudem, warum derart grundlegende Regelungen zu Arbeitsverhältnissen nicht zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart, sondern einseitig durch den Arbeitgeber festgelegt werden. Denn im Tarifvertragsgesetz § 1 Abs. 1 heißt es:
„Der Tarifvertrag regelt die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthält Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können.“
In der Vergangenheit – 1992 – sah das Thüringer Hochschulgesetz zumindest noch vor, dass das Ministerium die LVVO im Benehmen mit der Hochschulkonferenz (Leiter*innen der Hochschulen, Vorsitzende der Konzile, max. vier Vertreter*innen der Konferenz Thüringer Studierendenschaften und vier Vertreter*innen des Hauptpersonalrates) erlässt. Die Position der Interessenvertretungen ist heute schwächer – sie sind lediglich anzuhören. Metaphorisch gesprochen wurden wir von der Auswechselbank auf die Zuschauertribüne verbannt.
Franziska Klung, LfbA an der TU Ilmenau, unterrichtet Deutsch als Fremdsprache und Spanisch:
„Für meine Kolleg*innen und mich endete mit dem Inkrafttreten der neuen Thüringer Lehrverpflichtungsverordnung ein langer Kampf. Mit dieser Neuerung wird nun endlich unsere Arbeit anerkannt.
Vorher wurde Sprachunterricht – bezeichnet als „sprachpraktische Übungen“ – pauschal mit dem Faktor 0,5 berechnet. Das bedeutet, dass jede Unterrichtseinheit nur zur Hälfte anerkannt wurde und die Unterrichtsbelastung im Vergleich zu Kolleg*innen, die nicht im Sprachbereich unterrichten, ungleich höher lag. Es oblag dann dem Wohlwollen der Vorgesetzten, ob man das volle Unterrichtspensum mit 24 Wochenstunden Unterricht ausschöpfen oder einige Stunden etwa zur Konsultation freigeben wollte. Damit wurde allerdings eine Ungleichbehandlung zwischen den verschiedenen Hochschulen und auch eine unklare Rechtslage bei den Verantwortlichen möglich.
Zudem haben wir Sprachlehrkräfte uns immer gegen die Annahme gewehrt, dass unser Unterricht nicht mehr als eine „sprachpraktische Übung“ sein soll. Unter dem Begriff stellt man sich vor, dass man im Sprachlabor vielleicht die Computer einschaltet oder dass man im Chor ein paar Ablauttabellen durchgeht. Unser Unterricht ist aber ganz anders als das. Wie jeder Lehrende müssen wir zum großen Teil unser Lehr- und Prüfungsmaterial stets aktuellen Entwicklungen anpassen, es erweitern oder komplett selbst erstellen. Die Sprachkurse begleiten die sich ständig wandelnden Ansprüche an Lehre, Forschung und Wissensvermittlung. Wenn die Inhalte in den Fachgebieten sich wandeln, muss der Sprachkurs dabei Schritt halten. Dies bedeutet in der täglichen Arbeit einen großen Vor und Nachbereitungsaufwand. Dieser Komplexität der Aufgabe wurde mit der Bezeichnung „sprachpraktische Übung“ und dem Anrechnungsfaktor von 0,5 nicht Rechnung getragen.
Aus diesen Gründen sind wir sehr erleichtert, dass die GEW erfolgreich für eine Neubewertung unserer Arbeit eingetreten ist.“
Was haben wir als GEW erreicht?
Die GEW hatte im Juli 2019 Gelegenheit, zum Entwurf der LVVO Stellung zu nehmen. Vermutlich ist es mitunter den Turbulenzen bei den Landtagswahlen im Oktober 2019 geschuldet, dass die Verordnung dann nicht zeitnah unterzeichnet werden konnte. Es sollte noch bis Mai 2020 dauern, bis schließlich eine unterzeichnete Fassung veröffentlicht wurde.
Was wurde erreicht?
- Der Faktor 0,5 bei der Anrechnung von sprachpraktischen Übungen entfiel und es wurde klargestellt, dass Sprachkurse voll auf die Lehrverpflichtung angerechnet werden.
- Zahnmedizinische Praktika werden jetzt voll angerechnet.
- Exkursionen werden jetzt mit Faktor 0,5 statt 0,3 angerechnet.
- Volle Anrechenbarkeit digitaler Lehrangebote. Begrenzung i. d. R. auf maximal 25 % der Lehrverpflichtung
- Ermäßigung von bis zu 2 LVS (Universität) bzw. 6 LVS (FH) bspw. für die Entwicklung digitaler Lehrformate.
Wo sehen wir als GEW noch Handlungsbedarf?
- Angleichung der Lehrdeputate der Fachhochschulen an die der Universitäten
- Absenkung der durchschnittlichen Lehrverpflichtung
- Volle Anrechnung für Praktika auch an Universitäten
An dieser Stelle gebührt auch allen Akteurinnen und Akteuren Dank für ihren Einsatz und Anerkennung für das Erreichte. Mit den Erfahrungen aus dem Digitalsemester heißt es ja vielleicht bald wieder – auf in die nächste Runde!
98693 Ilmenau