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Demokratische Schule – demokratisch geschulte Pädagog*innen?

Stärker noch als andere Berufsgruppen sind Lehrer*innen und Schulpädagog*innen in ihrem Alltag vor die Herausforderung gestellt, demokratische Prinzipien zu befolgen und an andere zu vermitteln. Zu ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag gehört die Einhaltung professioneller Standards, die einen konsequenten Menschenrechtsbezug verlangen. Ziel sollte es sein, eine diskriminierungsfreie und gleichberechtigte Teilhabe aller im Schulalltag zu gewährleisten. Lehrende und Erziehende sind wichtige Vorbilder für die Schüler*innen und müssen sich auch der Zusammenarbeit mit Erziehungsberechtigten bzw. deren Erwartungen stellen.

Quelle: pixabay - CC0 - geralt

Der gelegentliche Einwand, Schule könne kein „Reparaturbetrieb“ für alle gesellschaftlichen Fehlentwicklungen sein, ist vor dem Hintergrund widersprüchlicher und bisweilen inflationärer Forderungen gegenüber Pädagog*innen verständlich. Doch in Bezug auf Demokratiebildung, Diskriminierungsfreiheit und die wertschätzende Anerkennung von Vielfalt muss die Schule als zentrale Sozialisationsinstanz ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden. Im „Mikrokosmos Schule“ begegnet und verdichtet sich ein breites Spektrum von Einstellungen und Verhaltensweisen, die in der Gesellschaft existieren. Dies führt unweigerlich auch zu Konfrontationen und Konflikten zwischen bzw. unter Lehrenden, Lernenden und Angehörigen. Wichtig ist trotz allem, Kompromisse zu finden, durch die gemeinsame Ziele erreicht werden können, ohne dabei zentrale Handlungsaufträge zu vernachlässigen und professionelle Standards zu unterlaufen. Die Augen vor gesellschaftlichen Problemen wie z. B. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder der Benachteiligung ökonomisch Benachteiligter zu verschließen und die schulische Mitverantwortung dafür abzuweisen ist der falsche Weg. 

  • Ungleichwertigkeitsdenken und Diskriminierung müssen erkannt werden können

Diskriminierenden Einstellungen und undemokratischem Verhalten darf nicht erst dann Einhalt geboten werden, wenn Grenzen der Legalität bereits überschritten sind oder wenn „Extremismus“ nach der Kategorisierung durch Polizei und Verfassungsschutz vorliegt. In solchen Fällen würde der Handlungsauftrag der Lehrenden ohnehin bei der Melde- bzw. Anzeigepflicht enden. Der eigentliche Aufgabenbereich von Pädagog*innen ist die Prävention und niederschwellige Intervention; sie sollten Sorge dafür tragen, dass Einstellungen und Verhaltensweisen, die auf Ungleichwertigkeitsdenken basieren, gar nicht erst ausgebildet werden oder sich weiter verfestigen. Dies setzt voraus, dass Pädagog*innen die unterschiedlichen Formen von Ungleichwertigkeitsdenken und Diskriminierung erkennen und einordnen können. Vor allem aber müssen sie dazu befähigt und ermutigt werden, Prinzipien der gleichwertigen Teilhabe, der Chancengerechtigkeit und des gegenseitigen Respekts zu vermitteln, adäquat auf undemokratische Tendenzen zu reagieren und dies als zentralen Aspekt ihres Handlungsauftrages zu reflektieren. Das Erlernen von Präventionsstrategien und die Einübung konkreter Interventionspraktiken
für den Schulalltag sollten deshalb feste Bestandteile der Aus- und Fortbildungen für alle Lehrer*innen und Pädagog*innen sein. Dies gilt fächerübergreifend.

  • Unsicherheit und Ratlosigkeit bei vielen Kolleg*innen 

Wenn beispielsweise bei einer Gruppendiskussion im Klassenzimmer rassistische und fremdenfeindliche Bemerkungen fallen, auf dem Pausenhof homophobe Schimpfwörter benutzt werden oder Schüler*innen Bekleidung mit (legalen oder illegalen) Symbolen oder Codes der rechtsextremen Szene tragen, darf niemand weghören oder wegsehen. Hier muss eine angemessene pädagogische Bearbeitung erfolgen. Auch Mobbing darf nicht als grundlos anmutende „Streitigkeit zwischen Kindern“ bagatellisiert werden: Meist besteht die Ursache in frühzeitig ausgeprägtem Ungleichwertigkeitsdenken (z. B. bezüglich des Aussehens, der Herkunft, der Sprache, der Kleidung, der angeblichen Fähigkeiten der betroffenen Kinder usw.), das sich mitnichten durch ein wohlmeinendes „Vertragt Euch!“ aus der Welt schaffen lässt. Die in einem konkreten Fall fortgesetzter Beleidigungen geäußerte Meinung einer Lehrkraft, „Kinder seien eben so“, mutet wie eine pädagogische Kapitulationserklärung an. Andererseits verdeutlichte diese Aussage die Unsicherheit und Ratlosigkeit, die viele Kolleg*innen empfinden, denen eine Verbesserung des Schulklimas am Herzen liegt. 

Wichtig ist, dass Lehrende und Erziehende dabei immer ihre eigenen Einstellungen und ihre eigene Diskriminierungssensibilität reflektieren. In der repräsentativen Bevölkerungsbefragung des Thüringen-Monitors 2017 deutete sich an, dass Lehrende und Erziehende selbst keineswegs frei von Vorurteilen sind. In erheblichem Umfang stimmen auch sie solchen Aussagen zu, die zur Erfassung von Einstellungen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit dienen. Allerdings war die Gruppe der mitbefragten Pädagog*innen zu klein, als dass Aussagen zu Einstellungsunterschieden getroffen werden könnten. Wissenschaftliche Spezialbefragungen von Thüringer Pädagog*innen nach Vorbild des Thüringen-Monitors gab es bisher nicht. 

Sensibilität, Wissen und Handlungskompetenzen für einen demokratischen und diskriminierungsfreien Schulalltag können Thüringer Pädagog*innen beispielsweise in Fortbildungsseminaren erwerben, die im Rahmen des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit von verschiedenen Institutionen angeboten  werden: www.denkbunt-thueringen.de

Kontakt
Dr. Axel Salheiser
Soziologe, Mitarbeiter am KomRex – Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration an der Friedrich-Schiller- Universität Jena und GEW-Mitglied