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Erfahrungsbericht

Das war unser GEW-Fachtag "Demokratiebildung in der Kindertagesbetreuung"

Am Dienstag, den 18.02.2020, fanden sich über 100 interessierte Erzieher*innen, Tagespflegepersonen und Fachberater*innen aus ganz Thüringen im Erfurter Augustiner-Kloster zusammen und nutzten den Tag zur Weiterbildung, Diskussion und zum Austausch.

In diesem Erfahrungsbericht möchte ich meine Eindrücke des GEW-Fachtages schildern und die Bedeutung des Themas „Demokratiebildung in der Kindertagesbetreuung“ hoffentlich etwas aufzeigen, denn eines was ich selbst als Nicht-Pädagoge auf diesem Fachtag gelernt habe ist: Man kann nie früh genug mit der Demokratiebildung im Leben anfangen! Und natürlich versteht man unter Demokratiebildung in der Kita auch etwas anderes, als z.B. im Sozialkundeunterricht in der Schule oder im Studium. Was man darunter zum Beispiel verstehen kann? Dies möchte ich gerne mit einer kleinen Zusammenfassung des Fachvortrages von Frau Prof. Dr. Annedore Prengel und der angebotenen Workshops vorstellen.

Der Fachtag Begann

Gegen 8:30Uhr trudelten die ersten Teilnehmer*innen im Erfurt Augustiner-Kloster ein. Ursprünglich geplant hatten wir für ca. 80 Pädagog*innen, gekommen sind schließlich über 100. Der Saal unserer Veranstaltung war voll und wie mir schien, waren alle gespannt nicht nur auf den Fachvortrag, sondern auch über den Austausch zu vielen wichtigen Themen untereinander, aber eben auch mit den Expert*innen der Workshops.

Der GEW-Fachtag „Demokratiebildung in der Kindertagesbetreuung“ begann dann zunächst mit einer Begrüßung der Landesvorsitzenden der GEW Thüringen, Kathrin Vitzthum, welche schon zu Beginn begründete, welche Bedeutung die Demokratiebildung besonders in der heutigen Zeit hat. Erst vor kurzem fand in Thüringen ein Tabubruch in der Landespolitik statt, als ein Ministerpräsident nur mit den Stimmen der AfD in das Amt gewählt wurde. Umso wichtiger scheint es heutzutage, dass die Demokratiebildung, die Mitbestimmung und die Förderung eines selbstbestimmten Tagesablaufs bereits in jungen Jahren in Kindertageseinrichtungen beginnen.

Der Fachvortrag „Demokratiebildung in der Kita – Grundlagen und Praxis“

Nach den einführenden Worten begann der Fachvortrag zum Thema „Demokratiebildung in der Kita – Grundlagen und Praxis“. Gehalten wurde dieser Fachvortrag von Frau Prof. Dr. Annedore Prengel. Sie hat derzeit eine Seniorprofessur an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie ist Gründerin des „Arbeitskreis Menschenrechtsbildung“, der in jährlichen Expertenkonferenzen an der Entwicklung des Manifests „Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer Beziehungen“ arbeitet. Was mir schon zu Beginn des Vortrages klar wurde – Frau Prengel kann mit ihrem Wissen die Zuhörer fesseln und wie später nach dem Vortrag klar wurde, auch zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Zu Beginn des Vortrages bot Frau Prengel einen historischen und demokratietheoretischen Aufschlag zum Thema und untermauerte diesen mit ihrer These – „Bildungsinstitutionen haben von der Elementarstufe an die Möglichkeit eine demokratische Grundbildung mit ihren ethischen Normen zu vermitteln.“. Im Zuge ihres historischen Rückblicks auf die Entwicklung der Demokratie und der Demokratiebildung machte sie einen für mich sehr interessanten Punkt – „Die Arbeit an der Verbesserung der Demokratie ein unvollendbarer Prozess. Wir können nicht davon ausgehen, dass wir irgendwann ein goldenes Zeitalter haben, wo alles perfekt ist.“ Alleine mit diesem Satz ist der Ansporn und der Ausdruck beschrieben, welchen Demokraten vergangener Zeiten und im Heute verfolgen, um eine möglichst lebenswerte Welt zu schaffen. Wichtig hervorzuheben sei hier noch die Anmerkung, dass dieser Grundsatz keineswegs ein westlicher Standpunkt sei, sondern auf der ganzen Welt, in jeder Religion so gelte und dann in den verschiedenen Regionen natürlich mit den vorherrschenden Kulturen ausgedrückt wird. Im Blick auf die Ebene von Demokratie als Herrschaftsform ist eines besonders wichtig – „Das Mehrheitsprinzip ist nicht alles. Gleichwertig sind Minderheitenschutz, Grundrechte und Gewaltenteilung. Erst wenn diese Werte geachtet werden, können wir von Demokratie sprechen.“. Die Demokratie als Lebensform war natürlich besonders wichtig für das Thema des Fachtages, denn hier geht es um die Gestaltung des alltäglichen Handelns im Sinne von Gleichheit und Freiheit. Sehr interessant erschien mir hier die Theorie der „Demokratie als fürsorgliche Gemeinschaft“, da unser ganzes Leben auf Fürsorge beruht. Diese Führsorge begleitet unser Leben vom Kleinkind bis zum hohen Alter und besonders wichtig für Pädagogen ist der Punkt, dass Sie Führsorge in diesem sehr wichtigen Kleinkindalter weitergeben und so Grundlagen für das Leben schaffen.

Es folgten verschiedene Ausführungen von Theorien aus der Demokratiepädagogig. So stellte Frau Prengel ein System vor, bei welchem alle Kinder bereits in ihren Kitas über jede Aktivität abstimmen können. Besonderen Blickpunkt benötigen hier die Kinder, welche sich sozusagen in der Minderheit einer Abstimmung befanden. Der Umgang mit dieser „Niederlage“ ist natürlich noch besonders schwer in diesem sehr jungen Alter. Hieraus ergeben sich bereits pädagogische Probleme und die Anwendung dieser Praxis sei fraglich. Frau Prengel selbst hat ein für Sie besseres System für frühpädagogische Demokratie gefunden, welches auf Fröbel zurückgeht. Das sogenannte „Freispiel“ – hier haben die Kinder sehr viele Entscheidungsmöglichkeiten. Deswegen könnte dies die höchste Art von Partizipation sein, wenn Kinder selbst aus einem großen Angebot entscheiden können, wo und mit was sie spielen möchten oder ob sie sich ausruhen möchten oder wann und was sie essen möchten. Hinzu kommt die Selbstbestimmung über die Gestaltung der Aktivität, ob mit anderen, mit sich alleine oder dem/der Erzieher*in.

Zum kleinen Abschluss meiner Eindrücke zum Fachvortrag möchte ich noch einige Forschungsergebnisse wiedergeben, welche Frau Prof. Dr. Prengel über 15 Jahre zusammengetragen hat. Hierbei geht es um Forschungen zur Qualität pädagogischer Beziehungen. In diesen 15 Jahren wurden über 12.000 Protokolle von Studierenden und Doktorant*innen zusammengetragen, welche den Umgang von Pädagog*innen mit Kindern in Kindertageseinrichtungen einfangen. Durchschnittlich können laut dieser Forschungen ca. 75% aller Interaktionen als „anerkennend oder neutral“ bezeichnet werden. Dieser Anteil gilt in etwa sowohl für den Elementarbereich, sowie dem Schulbereich. Circa 20% aller pädagogischen Interaktionen kann man als leicht verletzend Bezeichnen und ca. 5% als stark verletzend. Zu den beiden letzteren Werten gehören z.B. immer wiederkehrende Erniedrigungen oder Bestrafungen. Ich empfand diese Werte durchaus als erschreckend und auch die konkreten Beispiele, welche Frau Prengel im Nachhinein vorstellte, regten zum Nachdenken nicht nur bei mir selbst, sondern wahrscheinlich auch bei vielen anderen Teilnehmer*innen des Fachtages an.

Da ich nicht alle Inhalte des Fachvortrages hier wiedergeben kann, möchte ich es bei diesen Eindrücken belassen und nun noch etwas zu den weiteren Angeboten des GEW-Fachtages schreiben.

Nach dem Fachvortrag begannen die Workshops

Nach dem Fachvortrag von Frau Prof. Dr. Prengel begann der zweite Abschnitt des GEW-Fachtages – die Workshopphase. Eingeladen waren hierzu neben Frau Prengel drei weitere Referent*innen, welche in ihren Workshops sehr interessante und aufschlussreiche Themen zur Mitarbeit anboten. Jede*r der Teilnehmer*innen konnte im Zuge der Anmeldung für den Fachtag einen der vier Workshops wählen, doch wir boten vor dem Beginn der eigentlichen Workshops allen die Möglichkeit in kurzen Runden von ca. 15 Minuten auch in die anderen Workshops hinein zu schnuppern und vielleicht doch spontane oder dringende Fragen loszuwerden. Nach dieser kurzen Phase begannen nun die eigentlichen Workshops. Diese und ihre Referent*innen möchte ich nun im kurzen vorstellen:

Der erste Workshop, geleitet von Frau Prof. Dr. Annedore Prengel, stand unter dem Thema „Subjektives Erleben der Kinder – Übungen zur Perspektivenübernahme als Beitrag zur Realisierung der Kinderrechte“. Inhaltlich nutze sie diesen Workshop als eine Art Vertiefung ihres Fachvortrages. Ziel für die Teilnehmer*innen des Workshops war das Hineinversetzen und die Perspektivenübernahme in das subjektive Empfinden von Kindern, um so angemessene Handlungsstrategien entwickeln zu können. Besonderes Augenmerk fand hierbei das Thema Kinderrechte, welches einen Hauptschwerpunkt im Thema Demokratiebildung in Kitas setzt. Die Entwicklung von Handlungsstrategien und die Realisierung der Kinderrechte, gelten vor allem für emotional schwierige Lern- und Beziehungssituationen und sind hilfreich für die Arbeit mit heterogenen Gruppen. 

Der zweite Workshop gestaltete sich zum Thema „Essen, Schlafen, Ruhen – wenn Kinder mitbestimmen möchten“ und befasste sich u.a. mit der Gestaltung eines möglichst selbstbestimmten Tagesablaufs in den Kindertageseinrichtungen. Die Workshopleitung lag in den Händen von Volker Abdel Fattah (M.A., Systemischer Coach (SG)) – er studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie an der TU Dresden und erlangte 1997 den Magisterabschluss. In den folgenden Jahren schlossen sich ein Kursstudium der Erziehungswissenschaften sowie die Weiterbildung zum Systemischen Coach an. Ziel des Workshops war auch hier die Sensibilisierung für Interessen und Rechte der Kinder. Die Teilnehmer*innen konnten hier auch ihre Erfahrungen aus den eigenen Einrichtungen einbringen, gemeinsam diskutieren und nach möglichen Lösungsansätzen suchen. Häufig genanntes Problem war das zu geringe Personal oder fehlender Platz in den Einrichtungen, um allen Kindern einen freien und selbstbestimmten Tag zu ermöglichen.

Im dritten Workshop hieß das Thema „Adultismus – vom Machtgefälle in pädagogischen Kontexten“. Gemeinsam mit den Teilnehmenden widmete sich hier Göran Schmidt dem Thema der Machtverteilung, dem Machtgefälle und der Machtungleichheit (Adultismus) zwischen Pädagog*in und Kind. Schmidt ist staatlich anerkannter Kindheitspädagoge, Lerncoach und Kommunikationstrainer. Im Workshop wurde zudem Bezug auch auf die geschichtliche Entwicklung von Erziehung in BRD und DDR genommen und welche Auswirkungen die damaligen Methoden noch auf die heutige Kindererziehung haben. Ziel des Workshops war durch Sprachtraining und Reflexion die Konflikte in der Kindererziehung zu reduzieren, selbst mehr Energie im Alltag zu besitzen und den Kindern einen von Glaubwürdigkeit geprägten Schutzraum bieten zu können.

Im vierten und letzten Workshop widmeten sich die Teilnehmer*innen einem äußerst aktuellen politischen Thema. Unter dem Titel, welchen viele von uns bestimmt schon einmal irgendwo gehört haben, „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ – Rechtspopulismus im Kontext frühkindlicher Bildung tauschten sich die Pädagog*innen und die Workshopleiterin Pea Doubek über ihre Erfahrungen von Rechtspopulismus in ihren Einrichtungen aus. Pea Doubek ist Angestellte bei MoBiT e.V. (Mobile Beratung in Thüringen) und bietet selbst Seminare zum Thema Rechtspopulismus in Kindertageseinrichtungen an. Zu Beginn des Workshop befassten sich die Teilnehmer*innen zunächst mit dem allgemeinen Thema des Rechtspopulismus und stellten sich die Frage nach Entstehung, Merkmalen und Auswirkungen. Die gemeinsam ausgetauschten Erfahrungen wurden wiederrum auch durch ein gemeinsam erarbeitetes Fallbeispiel von Rechtspopulismus in einer Kita vertieft. Außerdem konnten folgende Fragen behandelt und geklärt werden: Wie kann eine wertschätzende Elternarbeit bei gleichzeitiger Abgrenzung zu menschenfeindlichen Positionen aussehen? Welche Rahmenbedingungen können in der Einrichtung geschaffen werden, um den Entfaltungsspielraum jener Äußerungen und Botschaften einzugrenzen? Welche Stärkung benötigen die Pädagog*innen hierfür und welche Rolle spielt der Träger in dem gesamten Komplex?

 

Ich hoffe, dass ich mit diesem Erfahrungsbericht einen kleinen Einblick in den GEW-Fachtag „Demokratiebildung in der Kindertageseinrichtung“ geben und auch etwas Aufmerksamkeit für dieses so wichtige Thema erregen konnte.
 

Interviews mit allen Workshopleitenden und die ersten Minuten des Fachvortrages von Frau Prof. Dr. Prengel sind in der Radiosendung „Bildung in Thüringen“ vom 20.02.2020 hörbar. (https://www.gew-thueringen.de/gewerkschaftsradio)

Kontakt
Justin Walther
ehemals Freiwilliger im FSJ Politik