Perspektive der Eltern
„Das hat dann letztendlich mit Qualität nichts mehr zu tun.“
Armin Däuwel ist nicht mehr Vorsitzender der Kreiselternvertretung Erfurt, aber er leitet immer noch deren Geschäftsstelle und hilft gern mit seiner langjährigen Erfahrung. Denn er weiß, dass die ehrenamtlich zu leistenden Aufgaben für die Elternvertreter sehr vielfältig (Zusammen- und Mitarbeit im Jugendhilfeausschuss, im Bildungsausschuss, in der Schulnetzplanung usw.) und damit auch sehr zeitaufwendig sind. Aus Anlass des MDR-Beitrags über die Probleme der nördlichen Erfurter Schulen vom Mai 2023 haben wir ihn nach seiner Einschätzung gefragt.
GEW: Wie kam es zu der Initiative der nördlichen weiterführenden Erfurter Schulen im Jahr 2023?
Armin Däuwel: Es gab damals eine Veranstaltung am Albert-Schweitzer-Gymnasium auf Initiative einzelner Akteure, die gesagt haben, bei uns ist es ganz schlimm und wir müssen etwas tun. Daraufhin fand dann eine Sitzung mit Vertretern der Stadt statt und im Nachgang gab es auch eine Stadtteilkonferenz am Albert-Schweizer-Gymnasium. Und bei dieser Stadtteilkonferenz war dann auch die Landeselternvertretung mit dabei.
Wenn man sich die Zahlen in den Schulen anschaut, dann ist das aus meiner Sicht kein ausschließliches Problem der Gymnasien, sondern wir haben noch größere Probleme in den Grundschulen, Gemeinschaftsschulen und Regelschulen. Da ist die Verteilung der migrantischen Kinder eine ganz andere wie am Gymnasium und das hat dann letztendlich mit Qualität nichts mehr zu tun. Im Moment sind wir in einer Situation, wo wir in Erfurt die Kinder irgendwo verteilen, dass sie unterkommen und das hat Auswirkungen auch für die Beschäftigten vor Ort. Die Lehrkräfte haben dann schlichtweg keinen Spaß mehr, in diesem Umfeld zu arbeiten. Und das hat auf der anderen Seite dann auch Auswirkungen auf das Niveau des Unterrichts.
Ich habe ein Beispiel aus der Gemeinschaftsschule Urbich, einem Ortsteil von Erfurt, auch wenn das im Südosten liegt. Dort sind in einer 7. Klasse allein sieben Kinder mit Migrationshintergrund und sechs davon sprechen kein Wort Deutsch. Das heißt, die Lehrkraft ist innerhalb der Unterrichtsstunde erst einmal 20 Minuten damit beschäftigt, über Handy und Übersetzer-App zu vermitteln, um was es geht. Und die restlichen 25 Minuten ist sie dann beschäftigt, die anderen Kinder, die in der Zeit Langeweile hatten, wieder zu beruhigen. In diesem Setting ist kein vernünftiger Unterricht möglich.
Wenn Kinder aus der Ukraine, aus Syrien oder woher auch immer zu uns kommen, dann haben die ein natürlich ein Recht auf Beschulung. Aber der richtige Weg aus meiner Sicht ist, die nicht irgendwo reinzustecken, sondern ihnen im Vorfeld Grundlagen der deutschen Sprache zu vermitteln und dann auch eine DaF/ DaZ-Lehrkraft an die Seite zu stellen. Was anstelle dessen stattfindet, ist ein sukzessives Absenken des Lernniveaus. Das führt zu Frustrationen bei den allen Kindern und hat auch psychische Auswirkungen. Und das finde ich als Elternteil untragbar.
GEW: Steigende Schülerzahlen, fehlende Klassenräume, Aufenthaltsräume und Lehrkräfte, das betrifft ja alle Schulen in Erfurt und ist kein Nord-Problem. Und zusätzlich gibt es an den Nordschulen dann einen unverhältnismäßig hohen Anteil an migrantischen Kindern mit allen Folgeproblemen, ist das die richtige Beschreibung?
Armin Däuwel: Nicht unbedingt. Sie haben natürlich im Erfurter Norden bestimmte Schulen, wo es ein Ungleichgewicht in der Verteilung ist. Aber wenn sie sich beispielsweise die Humboldtschule mitten im Stadtzentrum anschauen, dann sieht es dort noch viel dramatischer aus. Das ist aus meiner Sicht keine Sache von Nord, Süd oder Ost, sondern das ist ein Problem, dass die Verteilung ungleich zwischen den Schulen erfolgt. Was dann natürlich dazu führt, dass die Lernqualität sehr unterschiedlich wird. Ohne fremdenfeindlich zu sein, aber wenn mein Kind ab der fünften Klasse eine andere Schule besuchen muss und ich habe die Wahl zwischen 60, 70 Prozent Migrationshintergrund oder in eine Klasse mit überwiegend deutschen Kindern, dann schicke ich es natürlich lieber in eine Schule mit überwiegend deutschen Kindern. Das ist kein Problem der Kinder mit Migrationshintergrund, sondern eines des fehlenden Personals und einer gerechten Verteilung über alle Schulen.
GEW: Wie kam es denn dazu, dass sich die Erfurter Schulakteure zunächst außerhalb der Eltern, der Schulträger und des Schulamts miteinander vernetzt haben?
Armin Däuwel: Besonders in der Gemeinschaftsschule Otto-Lilienthal und im Albert-Schweitzer-Gymnasium hatten sie das Gefühl, dass es nicht mehr richtig läuft und etwas getan werden müsste. Die Schulen haben das gut gemacht. Die haben sich zusammengetan und sind an die Presse gegangen, die Aufmerksamkeit war da. Und was ist dann passiert? Es war tatsächlich so, dass nach diesen zwei Terminen nichts mehr passiert ist. Nichts passiert heißt: Es gab keinerlei öffentliches Treffen mehr.
GEW: Gab es auch keine Maßnahmen vor Ort?
Armin Däuwel: Keine Maßnahmen würde ich nicht sagen. Es passierte schon etwas, aber nicht so, wie von den Akteuren erhofft. An den Schulen gibt es immer noch das Gefühl, bei uns läuft es nicht rund und es muss sich etwas ändern. Aus unserer Kreiselternsicht wäre deshalb der richtige Weg, dass sich wirklich alle Akteure an einen Tisch setzen, ehrlich sind und auch sagen, was nicht geht. Und das war in der Vergangenheit anders, da wurde immer gesagt, wir machen dieses und jenes, wir sanieren euch, ihr seid ja dran und das passiert zeitnah.
Und die Planungen für Schulsanierungen oder Schulneubauten dauern hier in Erfurt besonders lange, da kamen dann manchmal Hamster dazwischen und manchmal Dinge von außen wie beispielsweise der Ukrainekrieg. Und dann fällt diese ganze Planung wie ein Kartenhaus zusammen. Die Planung des Personals ist eine weitere Sache. Wenn ein Kind heute geboren wird, ist doch absehbar, dass das demnächst einen Kindergartenplatz und in sechs Jahren einen Platz in der Grundschule und dann in der weiterführenden Schule braucht. Und wenn man sich als politisch Verantwortliche hinstellt und sagt, die Kinder sind uns wichtig und wir wollen denen eine ordentliche Umgebung für eine gute Entwicklung bieten, dass müssen eben auch Prioritäten gesetzt werden und es muss konsequent daran gearbeitet werden. Unser Anspruch als Elternvertretung ist es, dass die Kinder morgens aufstehen und gerne in die Schule gehen und gerne lernen. Und da sind wir ganz, ganz weit davon entfernt.
GEW: Ein Lösungsansatz wäre also eine langfristige Finanzplanung für den Bildungsbereich?
Armin Däuwel: Ja – und dann auch länger als zehn Jahre. Wir haben hier in Thüringen keine Rohstoffe und das, was uns in den vergangenen Jahrzehnten auch ausgemacht hat, war das Know-how in den Köpfen. Und wenn ich da nicht investiere, dann muss ich mich nicht wundern, dass ich dann später keine Fachkräfte habe oder dass die Leute abwandern und dass unser Bildungsniveau sukzessive in den Keller wandert.
GEW: Ihnen geht es als Kreiselternvertretung nicht nur darum, die Migrationskinder gleichmäßiger zu verteilen, sondern prinzipiell die Ressourcen besser zu verteilen. Da geht es auch um Räumlichkeiten und Personal?
Armin Däuwel: Es geht prinzipiell darum, dass wir in unserer Stadt eine Infrastruktur schaffen, wo die Kinder gerne und mit Freude in die Schule zum Lernen gehen. Und dazu gehört, dass die Räumlichkeiten inklusive von Tisch, Stuhl, Internet und alle anderen Dinge vorhanden sind. Und dass natürlich auch die Fachkräfte da sind, die zum Lernen notwendig sind: die normalen Lehrkräfte, die DaZ-Lehrkräfte, sonderpädagogischen Fachkräfte und, und, und. Und da sind natürlich Investitionen erforderlich. Aber ich kann mir die Lehrkräfte nicht aus dem Ärmel schütteln, sondern das muss mittel- bis langfristig geplant werden. Und das ist wiederum eine Aufgabe, die auf Landesebene gelöst werden muss.
GEW: Im besagten MDR-Beitrag hat sich eine Schulleiterin so geäußert, dass unter den aktuellen Bedingungen vor Ort ein Migrationsanteil von 30 bis 35 Prozent gut zu bewältigen wäre. Ist das auch so Ihre Einschätzung?
Armin Däuwel: Ich möchte nicht beurteilen, wo der Prozentsatz ist. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass es in einer Schule, wo der Migrationsanteil bei 70, 80 Prozent liegt, keinen Spaß mehr macht zu lernen. Aber mir geht es nicht darum, jemanden jetzt an den Pranger zu stellen, sondern ich möchte, dass die Kinder morgens gerne in die Schule gehen und lernen. Das fängt ja schon damit an, dass man keine übelriechende Räume vorfindet, wo der Schimmel an der Decke ist. Wenn die Infrastruktur nicht passt, dann hat man die demotivierten Lehrer, was ich auch nachvollziehen kann. Und es gibt ja Schulen, teils Projektschulen oder Schulen in anderen Ländern wie beispielsweise in Dänemark, wo es gut läuft, wo anderes Lernen möglich ist.
GEW: Vielen Dank.
99085 Erfurt
