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Lehren und Lernen unter Pandemie-Bedingungen an der Regelschule

Das große Durcheinander-Jahr

Wie lehrt, lernt und arbeitet es sich während eines Pandemiejahres an einer Regelschule? Dana Kecke, Teil des Leitungsteams der AG Arbeits- und Gesundheitsschutz, und eine GEW-Kollegin schreiben hier über ihre Erfahrungen in dieser anspruchsvollen Schulart.

17. März 2020: Alles steht still...

Das Gedankenkarussell nimmt Fahrt auf: Muss ich jetzt in Kurzarbeit? Was wird mit den Schüler:innen? Wie lange geht das so? Bloß nicht anstecken!

Okay, ich räume erst einmal auf, sortiere Unterrichtsmaterialien, bringe Ordnung in mein Arbeitszimmer, lenke mich ab. Und doch: Corona ist allgegenwärtig und keiner weiß was Genaues. Die Mitteilungen und Vorgaben des Bildungsministeriums kommen sporadisch, sind meist schon durch die Presse überholt. Sicher sind sie auch überfordert mit der Situation. Wir machen mal das Beste draus. Versuchen es einfach, trotz Ungewissheit und Angst.

Erstmal aufatmen: Wir bekommen unser Gehalt weiter. Wir arbeiten von zu Hause. Und: Wir haben jetzt unsere Dienst-Email-Adresse, jedenfalls die meisten. Darüber lässt sich jetzt alles regeln.

Die Wochen vor Ostern 2020 – das Zeitproblem

In Absprache mit den KollegInnen erstellen wir Arbeitsblätter, die auf der Schul-Homepage von den Schüler:innen heruntergeladen (oder auch nicht), bearbeitet und meist per Blattsammlung im Briefkasten der Schule (oft ohne Namen) hinterlassen werden. Gut, dass wir unsere Pappenheimer kennen und die Schriften zuordnen können. Aber: auch das kostet Zeit. Überhaupt: Zeit. Wir haben jetzt Zeit, aber doch keine, weil wir uns umorganisieren müssen: Elternabende, Lernentwicklungsgespräche, Lernen am anderen Ort fallen weg, die Prüfungen für Haupt- und Realschüler werden abgemildert. Aber wir telefonieren den halben Tag mit Eltern, erstellen Aufgaben, kontrollieren sie, geben Feedback; schreiben Mails und erfassen Daten. Wann können wir wieder in die Schule?

Anfang Mai 2020 – Ausbau der Medienkompetenzen

Inzwischen stapeln sich neben vielen Blättern mit erstellten Aufgaben auch Teilnahmebescheinigungen über Selbstlernkurse und digitale Fortbildungsmaßnahmen. Meine Medienkompetenz ist wettbewerbsfähig! Digitales Lernen ist prima, wenn alle mitmachen und es alle können, aber wir haben unterschiedliche Voraussetzungen. Und dann ist da noch der Datenschützer. Bloß nichts falsch machen...

Mitte Mai 2020 – die Sache mit dem richtigen Abstand

Es kommt wieder Leben in die Schule. Endlich Präsenzunterricht! Da wir nicht alle Schüler:innen erreichen konnten und die Bewertung anfangs ausgesetzt war, fange ich von vorne mit dem zu vermitteln-den Stoff an. Lehrplan und Stoffverteilungsplan werden über Bord geworfen. Gut, dass im ersten Halbjahr genug Noten erteilt wurden, da gibt es wenigstens mit dem Zeugnis kein Problem. Und es werden ja auch alle versetzt. Kleine Gruppen, das ist sehr effektiv und wir erreichen hier auch die Schüler:innen, die sich sonst nicht so trauen. A-B-S-T-A-N-D. Dieses Wort scheint neu im deutschen Wortschatz zu sein, denn etliche Schüler:innen, vor allem aus den unteren Klassen, können oder wollen damit nichts anfangen. Als würde es Corona nicht geben, wird bei den Größeren im Schulhaus weiter geknutscht, finden Styling-Treffen in der Toilette statt, werden Anweisungen oder Ermahnungen ignoriert, gibt es Maskenverweigerer. Die Reinigung der Räume, Toiletten und Flure: Anfangs gab es einen Plan und wir Lehrer:innen haben noch selbst Hand angelegt. Aber es ist nicht unsere Aufgabe.

Die großen Ferien – seltsame Einfälle

Welt- und bildungserfahrene Politiker schlagen Sommercamps und individuelle Förderung für Schüler:innen vor, zu organisieren durch die Lehrkräfte. Als wäre der Druck durch die ganzen Corona-Verordnungen nicht schon groß genug, müssen auch noch innovative Ideen her. Aber man gönnt uns dann doch die Erholung. Ich räume auf.

Nach den Sommerferien

lässt sich der Schulbetrieb erstmal gut an, sogar Schulfahrten sind möglich und Projekte werden durchgeführt. Schnell so viele Noten wie möglich machen, wer weiß, was uns bevorsteht. Herr Drosten warnt ja schon permanent vor der zweiten Welle.

Und da ist sie dann, die zweite Welle, Dezember 2020. Jeder wusste, dass sie kommt, vorbereitet sind wir trotzdem nicht. Fehlende Kommunikation zwischen den Ebenen, die endlose Diskussion um digitale Endgeräte für Lehrer:innen.

Aber jetzt gibt es die Schulcloud, die mal mehr und mal weniger gut funktioniert. Versuchen wir es mal damit. Problem: von knapp 400 Schüler:innen meiner Regelschule sind Ende Dezember 60 immer noch nicht angemeldet und nicht erreichbar. Es muss doch mal langweilig werden, so ohne Schule?

Februar 2021 - keine Normalität in Sicht

Die Abschlussklassen sind in der Schule und werden in den Haupt-fächern von den entsprechenden Fachlehrer:innen unterrichtet. Diese haben jetzt eine Riesen-Doppelbelastung, da ja dann noch das Distanzlernen für die anderen Schüler:innen zu Hause wartet.

Wir haben aus den Erfahrungen vom Frühjahr gelernt: Wir sind strukturierter. Zeit? Habe ich dennoch keine. Ich erstelle Aufgaben und gebe jedem Schüler / jeder Schülerin ein Feedback. Das kostet mich drei Mal so viel Zeit, als würde ich die Aufgabe im Unterricht auswerten. Um an Informationen zu kommen, bediene ich vier Platt-formen. Ich bin ständig erreichbar. Die E-Mail-Flut erschlägt mich. Sogar am Wochenende kommen Anfragen. Die E-Mails haben oft keine Anrede und keine Grußformel mehr. Video-Konferenzen, das ist Neuland, aber effektiv.

Mittlerweile kommen jede Woche neue Verordnungen: Bewertungsrichtlinien und wieder abgemilderte Prüfungsverordnungen, häusliches Lernen, Hygiene-Pläne, Arbeitsschutzverordnungen, ... Ich habe oft nicht die Zeit, um sie alle zu lesen. Ich verlasse mich auf Schulleitung und Örtlichen Personalrat und die entsprechende Weitergabe der Informationen.

Kann ich meine Arbeitszeit überhaupt noch bemessen? Präsenzunterricht ? Distanzunterricht? Was ist morgen? Maske im Unterricht ja oder nein? Stecke ich mich an? Werde ich geimpft? Fragen, auf die ich oft nur eine ungenügende, verspätete oder auch gar keine Antwort bekomme. So langsam meldet sich mein Rücken von dem vielen Sitzen. Ich werde auch eine neue Brille brauchen.

Es ist eine komische Zeit. Mir fehlen die persönlichen Kontakte im Lehrerzimmer, die Geburtstagsgrüße, das Hallo für neue Kolleg:innen. Wertschätzungen. Austausch. So viele Möglichkeiten.

Es gibt eine Zeit nach Corona!

Was nehmen wir mit aus diesem Durcheinander-Jahr? Lehren und Lernen muss nicht im Schulgebäude stattfinden, es gibt andere Möglichkeiten.

  1. Die Umsetzung der 10 Empfehlungen der GEW für die Arbeit der Thüringer Schulen nach der Corona-Krise wären hier ein richtungsweisender Schritt.
  2. Wir müssen unbedingt über Arbeitszeit reden und sie neu definieren.
  3. Wir müssen A-B-S-T-A-N-D halten, auch zu Dingen, die uns überfluten und uns nicht guttun.
  4. Wir müssen das Machbare diskutieren, bewahren und einfordern: kleine Gruppen, effektive Lernmethoden, die erlernte Selbständigkeit der Schüler:innen, das Voranbringen der Digitalisierung.

Aber das Wichtigste ist: stabile Gesundheit und vielleicht ein Lächeln, mit dem wir viele Dinge besser bewältigen.

Kontakt
Dana Kecke
Lehrerin an der Staatlichen Regelschule "Bieblacher Schule" in Gera