Ministerpräsidentenwahl Thüringen
Causa Kemmerich: Die Notwendigkeit solidarischer Gewerkschaftsarbeit
Für das Land Thüringen war der Jahresbeginn eine aufreibende Zeit seiner Geschichte. CDU, FDP und AfD wählten gemeinsam Thomas Kemmerich, den Kandidaten der kleinsten Landtagsfraktion, im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten des Freistaates. Kemmerich nahm die Wahl ohne Bedenkzeit an und löste damit die bis dahin geschäftsführende Regierung Ramelow ab.
Der Vorgang wurde zum Politikum und stürzte nicht nur Thüringen, sondern ganz Deutschland in eine politische Krise. Zum ersten Mal in der Geschichte der Republik wurde ein Ministerpräsident nur durch die Stimmen der AfD möglich, also einer Partei, die insbesondere in Thüringen mittlerweile fest im weit rechten bis rechtsextremen Spektrum verortet ist. Der gesellschaftliche Aufschrei blieb nicht aus, innerhalb kürzester Zeit gab es Proteste in ganz Thüringen. Schnell schlug der Fall Wellen auch in der bundesweiten Politik. Kemmerich weigerte sich zunächst einen Fehler zu erkennen, erklärte aber dann nach etwas mehr als 24 Stunden seinen Rücktritt. Die ihm zustehenden Bezüge wollte er zunächst einem AfD-nahen Verein spenden, erklärte dann aber letztendlich doch diese an die Landeskasse zurückzahlen zu wollen. Eigene Einsicht schien dabei nicht Motivation zu sein; am Ende wurde aber selbst Kemmerich wohl klar, dass es angesichts des großen Widerstandes de facto unmöglich werden sollte eine halbwegs geregelte Regierungsarbeit hinzulegen.
Einen Monat später, nach zähem Ringen, kommt es erneut zum Wahlgang. Die Protagonisten sind ähnlich, nur dass dieses Mal die AfD sichtbarer aus dem Schatten tritt. Bodo Ramelow auf der einen Seite, Björn Höcke auf der Anderen. Der vorherige Ministerpräsident gegen den Königsmacher des Interims-Präsidenten. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist die Wahl hier relativ einfach: Gewerkschafter oder Rechtsextremist. Letzterer steht für eine Partei, die sich noch nicht festgelegt hat ob sie eher einen neoliberalen oder völkisch-nationalistischen Ansatz in der Arbeits- und Sozialpolitik folgt. Durchgesetzt hat sich am Ende dann doch Ramelow. Während die CDU sich dieses Mal zumindest weitgehend zu enthielten schien, entzog sich die FDP der Debatte komplett und stimmte einfach gar nicht ab.
Die Tatsache, dass es überhaupt so weit kommen konnte, sollte hingegen jede:r Bürger:in1 des Bundeslandes eine Warnung sein. Dementsprechend war es folgerichtig, dass sich die GEW so eindeutig nach der Wahl Kemmerichs positioniert hat. Wer Gute Arbeit fordert, kann sich nicht politischen Debatten um Gutes Leben für alle entziehen.
Bei der Abschlusskundgebung einer kurzfristig organisierten Demo Mitte Februar mit fast 20.000 Teilnehmenden sprachen folgerichtig Thüringer GEWler: Thomas Hoffmann, stellvertretender Landesvorsitzender, sowie Matthias Gothe, Mitglied des Landesausschusses Diversity der Gewerkschaft. Beide sprachen dabei von den Erfahrungen und Befürchtungen von Menschen in diesem Land, die besonders die drohende Legitimierung der Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten zu befürchten haben und bereits jetzt unter einem wandelnden politischen Klima zu leiden haben. Thomas Hoffmann hat das anschaulich aus seiner eigenen Arbeit an einer Hochschule beschrieben: „Niemals hatte ich gedacht, dass es jemals zu meinen Dienstaufgaben gehören wird, Studierende im Krankenhaus zu besuchen, die Opfer einer rassistischen Gewalttat geworden sind. Studierende zur Polizei zu begleiten, um Anzeigen zu erstatten. Viel Zeit zu nehmen, damit traumatisierte Studierende einen Zuhörer finden.“
Auch sonst ist deutlich, was diese schleichende Normalisierung und Legitimierung der Zusammenarbeit mit der AfD für unsere konkrete Arbeit bedeuten könnte. Die Einschüchterungsversuche durch die Einrichtung von AfD-Meldeportalen und die Ablehnung von Projekten politischer Bildung ist vielen von uns ein Begriff. Unter dem Vorwand einer falsch verstandenen Neutralität soll hier die Erziehung zur kritischen Persönlichkeit verhindert und das Eintreten für die freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterbunden werden.
Aus gewerkschaftlicher Sicht muss es um also zwei Sachen gehen: Um die konkreten Menschen vor Ort, die unter einem Rechtsruck zu leiden haben und von Rechten eingeschüchtert werden, aber auch um das große Ganze. Gewerkschaft muss sich an einem solchen Bruchmoment der Demokratie dann doch als mehr als nur
Verwaltung und Service erweisen: Es geht um die Vision von Gesellschaft. Die Kernfrage ist: sehen wir uns als Teil einer Bewegung für eine vielfältige, reale Utopie, in dem Gute Arbeit, Gutes Leben und Menschenwürde im Mittelpunkt stehen?
Thomas Hoffmann hat diese Frage für sich selbst bereits beantwortet und auf der Demo in Erfurt an alle appelliert: „Lasst uns solidarisch kämpfen für ein offenes und tolerantes Thüringen, ein demokratisches und vielfältiges Thüringen, in dem die Menschenrechte gelten und die Menschenwürde respektiert wird. Lasst uns kämpfen für ein Thüringen, in dem jeder Mensch wertgeschätzt wird und einen Platz findet!“
99096 Erfurt