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Bildungsfinanzierung der öffentlichen Hand

Stand und Herausforderungen

Quelle: RABE KARIKATUR

1. Vorbemerkungen

Fast alle nationalen und internationalen Vergleichsstudien stellen dem deutschen Bildungssystem ein miserables Ergebnis aus:

  • Ca. 5,6 Prozent der Absolvent*innen allgemeinbildender Schulen verlassen diese ohne einen Schulabschluss (Statistisches Bundesamt 2016: 456).
  • Von den Jugendlichen mit Migrationshintergrund schaffen unverhältnismäßig viele (2015 waren es 11,8 %) keinen Schulabschluss (Statistisches Bundesamt 2016: 466f). Sie sind die Verlierer des Bildungssystems.
  • Die Entscheidung über die Bildungskarriere wird stärker als in anderen Ländern von der sozialen Herkunft der Eltern geprägt (Klemm 2016).

Es gibt daher ausreichend Gründe, sich für eine Reform unseres Bildungssystems einzusetzen. Denn hinter diesen Befunden verbergen sich einerseits Einzelschicksale, d.h. junge und auch ältere Menschen, die aus Bildungsprozessen und damit verbunden auch aus gesellschaftlichen Subsystemen, wie z. B. dem Arbeitsmarkt, ausgegrenzt werden. Andererseits wird damit mittelfristig auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands gefährdet.

Eine Reform des Bildungssystems bedeutet dabei immer einerseits eine Veränderung der Strukturen, andererseits aber auch immer die Berücksichtigung der dafür erforderlichen Finanzen. Damit kommt das Thema Bildungsfinanzierung ins Spiel.

Bildungsfinanzierung als eigenständiges Diskussionsfeld ist Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgekommen. Hintergrund war schon damals die Erkenntnis, dass der Bildungsbereich reformbedürftig und mit zu wenig öffentlichen Ressourcen ausgestattet war. Doch statt dieser Erkenntnis Taten folgen zu lassen, erhofften sich die damaligen politischen Entscheidungsträger auf zum Teil kommunaler, Landes- und Bundesebene, dass Effizienzgewinne aus dem Einsatz neuer Steuerungssysteme ausreichend Finanzreserven mobilisieren würden. Zusätzliche Investitionen seien daher nicht notwendig. Diese Hoffnung erwies sich als trügerisch: Sei es bei der Kita-Card der Kindertagesstätten, den Globalhaushalten im Schulbereich oder der Einführung der Hochschulautonomie. Häufig erforderten die neuen Steuerungsmodelle sogar zusätzliche Ressourcen, statt Effizienzgewinne zu bringen. Zum Teil sind sie daher schon wieder „Geschichte“.

Stattdessen kommen neue Konzepte auf die Tagesordnung, bei denen es nicht mehr nur darum geht das Ressourcenvolumen zu verändern, sondern innerhalb der Akteursgruppen neu zu verteilen. Gemeint sind die vielfältigen Formen zur Berechnung von Bildungsrenditen. Mit Bildungsrenditen werden monetäre Erträge einer Bildungsinvestition (z. B. Studium) meist in Form eines prozentualen Zuwachses von Einkommen ermittelt. Dahinter steht die an sich plausible Annahme, dass Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen in der Regel höhere Einkommen erzielen als mit geringeren Bildungsabschlüssen.

Problematisch ist das Renditekonzept dahingehend, dass in der Regel von einer Status Quo Betrachtung ausgegangen wird, das heißt von einem konstanten Niveau der Qualifikationsstruktur. Für erwartete Renditen sind nicht nur die eigenen Bildungsentscheidungen maßgeblich sondern auch die Studienentscheidungen aller Anderen. Gleiches trifft auf die fiskalischen oder gesellschaftlichen Bildungsrenditen zu, zumindest dann, wenn erwartete Einkommen und damit verbundene Steuer- und Sozialversicherungstransfers in den Blick genommen werden. Konkret bedeutet dies, dass Bildungsrenditen unterschiedlich ausfallen und damit keine Aussagekraft haben, je nachdem ob eine Studierendenquote 30 %, 50 % oder sogar 60 % beträgt.

2. Maßstab und Höhe zusätzlicher öffentlicher Bildungsausgaben

Ökonomische Überlegungen ermöglichen nur begrenzte Aussagen über den notwendigen Umfang der staatlichen Bildungsausgaben. Auch internationale Vergleiche führen hier nicht weiter. Zwar wird regelmäßig angeführt, dass die Ausgaben für Bildung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt im internationalen Vergleich in Deutschland relativ gering sind. So betrugen laut internationaler Vergleichsstudie die öffentlichen und privaten Ausgaben für Bildungseinrichtungen für den Primar- bis Tertiärbereich in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2013 in Deutschland 4,3 % und liegen damit sowohl unter dem OECD-Durchschnitt mit 5,2 % wie auch dem Durchschnitt der EU-22-Staaten mit 5,0 % (OECD 2016: 261). Ausgedrückt wird damit jedoch die Wertschätzung, die Nationalstaaten ihren Bildungssystemen beimessen, nicht aber die Qualität der jeweiligen Bildungssysteme.

Die Frage der Bildungsfinanzierung ist daher an erster Stelle verknüpft mit der Frage nach der Ausgestaltung eines Bildungssystems. Das heißt, vor der Beantwortung der Frage(n) zum Finanzierungssystem steht immer die Frage, wie das Bildungssystem aussehen sollte und damit gewerkschaftspolitische Zielsetzungen.

Im Rahmen eines Gutachtens für die Max-Träger-Stiftung wurden vor diesem Hintergrund die zusätzlichen öffentlichen Ausgaben für ein Bildungssystem ermittelt, das gewerkschaftlichen Ansprüchen genügt (Jaich 2016).

  • Frühkindliche Bildung: Handlungsbedarf gibt es sowohl in quantitativer Hinsicht im Hinblick auf den Ausbau der Betreuung für unter 3-Jährige sowie den Ausbau der Ganztagsbetreuung wie auch im Hinblick auf qualitative Erfordernisse wie z. B. die Verbesserung des Betreuungsschlüssels. Zentral im Bereich Kindertagesstätten ist die Abschaffung von Gebühren. Bildungseinrichtungen sollten in Deutschland allgemein kostenfrei sein. Werden Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen angesehen, und hieran besteht in Deutschland seit einiger Zeit kein Zweifel mehr, so sollte der Besuch einer Kindertageseinrichtung für die Eltern kostenfrei sein. Die konsequente Umsetzung dieser Ziele für den Bereich frühkindlicher Bildung würde bundesweit zusätzliche jährliche Ausgaben bundesweit in Höhe von ca. 11 Mrd. Euro verursachen und für Thüringen ca. 314 Mio. € (Jaich 2016: 26).
  • Allgemeinbildende Schulen: Dem deutschen Schulsystem gelingt es nicht, allen jungen Menschen gleiche Chancen für einen erfolgreichen Bildungsverlauf zu vermitteln (Klemm 2016). Eine wesentliche Ursache hierfür liegt in der Auslese des Schulsystems in der Sekundarstufe. Das gegliederte Schulsystem nach der Primarstufe in (noch) Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen führt dazu, dass sich die bestehenden Bildungseliten weitgehend selbst reproduzieren. Wie im Bereich Kindertagesstätten besteht einerseits Handlungsbedarf in quantitativer Sicht hinsichtlich des Ausbaus der Ganztagsbetreuung sowie in qualitativer Sicht hinsichtlich der Verbesserung der Qualität des Unterrichts. Eine der großen Herausforderung aus Sicht der Bildungsfinanzierung im allgemeinbildenden Schulsystem ist die Umsetzung der Inklusion. Die konsequente Umsetzung dieser Ziele würde bundesweit zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von ca. 20 Mrd. Euro und für Thüringen ca. 220 Mio. € verursachen, wenn hinsichtlich Inklusion eine Quote von 90 % als Zielmarke formuliert wird (Jaich 2016: 49).
  • Berufliche Erstausbildung: Die zentrale Problemlage im Bereich der beruflichen Bildung wird seit Jahren darin gesehen, dass von Unternehmen zu wenig Ausbildungsplätze bereitgestellt werden. Die Hoffnung, dass sich dieses Problem durch den demografischen Wandel auflösen wird, hat sich nur zum Teil erfüllt. Die Lücke zwischen nachgefragten und angebotenen Ausbildungsplätzen ist zwar geringer, aber nicht geschlossen. Ein weiteres Handlungsfeld betrifft die Situation an den beruflichen Schulen. Hier sind finanzielle Ressourcen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen – analog zu den Ausführungen über allgemeinbildenden Schulen – notwendig. Die konsequente Umsetzung dieser Ziele würde bundesweit zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von ca. 7 Mrd. € und für Thüringen ca. 132 Mio. € verursachen (Jaich 2016: 59f.).
  • Hochschulen: Das zentrale Problem im Hochschulbereich ist schon länger in dessen Überlastung zu sehen, dies hat sich mit der Ausweitung der Studierendenzahlen noch einmal verschärft. Die Hochschulpakte 1 bis 3, die geschlossen wurden, um die Finanzierungslücke zwischen Bund und Ländern aufgrund der gestiegenen Studierendenzahlen zu schließen, reichen bei weitem nicht aus. Ebenso führt die Entlastung der Länder bei der Bafög-Finanzierung nicht immer zu einer Verbesserung der Hochschulsituation. Im Einzelnen wird in Tabelle 3 der Handlungsbedarf im Bereich Hochschulen dargestellt. Die konsequente Umsetzung dieser Ziele würde bundesweit zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von ca. 6 Mrd. € und für Thüringen ca. 53 Mio. € verursachen (Jaich 2016: 65).
  • Weiterbildung: Zusätzliche Ressourcen für Bildungseinrichtungen betreffen im Bereich der Weiterbildung vor allem die Förderung der allg. Weiterbildung auf der Grundlage der Weiterbildungsgesetze der Länder. Zudem sollte durch die öffentliche Hand eine Infrastruktur für das Lebenslange Lernen bereitzustellt werden. An erster Stelle ist hier eine flächendeckende Weiterbildungsberatung zu nennen. Die konsequente Umsetzung dieser Ziele würde bundesweit zusätzliche jährliche Ausgaben in Höhe von ca. 1 Mrd. € und für Thüringen ca. 18 Mio. € verursachen (Jaich 2016: 69).

3. Schlussbetrachtung

Im Ergebnis wird in der aktuellen Studie der Max-Träger-Stiftung ausgeführt, dass für eine Verbesserung des deutschen Bildungssystems, orientiert man sich an der Umsetzung gewerkschaftlicher inhaltlicher Forderungen, jährliche Mehrausgaben der Bundesländer insgesamt in Höhe von mindestens 45 Mrd. € und für Thüringen in Höhe von 737 Mio. € erforderlich würden (Jaich 2016: 73).

Betrachtet man die einzelnen Bereiche und vergleicht insbesondere die zusätzlichen Ausgaben – in der Regel – pro Lernenden, so zeigt sich, das Thüringen insgesamt sehr gut dasteht, wie die folgende Abbildung zeigt.

Berücksichtigt sind hierbei noch nicht die zusätzlich notwendigen Ausgaben des Bundes für die Förderinstrumente Bafög sowie AFB und die Förderung der Weiterbildung aus dem SGB-Bereich. Würden diese mit berücksichtigt, würden sich die jährlichen Mehrausgaben noch einmal um ca. 6 Mrd. € erhöhen. Die Ergebnisse der Studie liegen damit in qualitativer Hinsicht in etwa auf einem Niveau mit den vergleichbaren Vorgängerstudien von Jaich oder auch von Piltz (Jaich 2008; 2009; Piltz 2011)

Und noch ein weiterer gewichtiger Posten wurde nicht in den Blick genommen, die Investitionsausgaben von denen letztlich so viel bekannt ist, dass sie erheblich ausfallen dürften.

Abschließend sei auf einen Umstand hingewiesen, der erst bei einer zeitlichen Betrachtung der Veränderung der Bildungsausgaben auffällt. Forderungen nach Veränderungen im Bildungssystem sind daher politische Forderungen und müssen politisch begründet werden. Es zeigt sich, dass rein bildungspolitische Argumentationen nicht immer weiterführen. So zeigt sich, dass der gewaltige Ausbau der Kindertagesstätten, insbesondere in letzter Zeit der Ausbau für unter dreijährige Kinder nicht mit bildungsökonomischen Argumenten durchgesetzt wurde, sondern aufgrund des Fachkräftemangels, d.h. mit Argumenten aus der Arbeitsmarktpolitik.

4. Literaturverzeichnis

  • Jaich, Roman (2008): Gesellschaftliche Kosten eines zukunftsfähigen Bildungssystems, Hans-Böckler-Stiftung, Arbeitspapier 165, Düsseldorf
  • Jaich, Roman (2009): Reicht das Zehn-Prozent-Ziel des Dresdener Bildungsgipfels für eine nachhaltige Reform des Bildungssystems? Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf
  • Jaich, Roman (2016): Bildungsfinanzierung der öffentlichen Hand – Stand und Herausforderungen, Gutachten im Auftrag der Max-Träger-Stiftung, Frankfurt/M.
  • Klemm, Klaus (2016): Soziale Herkunft und Bildung im Spiegel neuerer Studien, in: Burkhard Jungkamp, Burkhart/John-Ohnesorg, Marei (Hg.): Soziale Herkunft und Bildungserfolg. Netzwerk Bildung. Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn Berlin, S. 17-22
  • OECD (2016): Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren, Bielefeld
  • Piltz, Hendrik (2011): Bildungsfinanzierung für das 21. Jahrhundert, Gutachten im Auftrag der Max-Träger-Stiftung, Frankfurt
  • Statistisches Bundesamt (2016): Bildung und Kultur. Allgemein bildende Schulen, Schuljahr 2015/2016. Fachserie 11, Reihe 1, Wiesbaden
Informationen zum Autor Dr. Roman Jaich:
  • Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Kassel, Abschluss als Diplom-Ökonom mit volkswirtschaftlicher Ausrichtung, im Anschluss an das Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Wirtschaftsrecht mit Promotion zum Thema „Globalisierung und Mitbestimmung“
  • Wiss. Mitarbeiter in der Geschäftsstelle der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslangen Lernens“, Berlin
  • Wiss. Mitarbeiter an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg im Projekt „Komnetz“ am Lehrstuhl von Prof. Peter Dehnbostel
  • Wiss. Mitarbeiter in der Regiestelle zur Begleitung des aus Mittel des ESF und des Bundes finanzierten Programms „weiter bilden“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
  • Wiss. Mitarbeiter in der Regiestelle zur Begleitung des aus Mittel des ESF und des Bundes finanzierten Programms „Fachkräfte sichern: weiter bilden und Gelichstellung fördern“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
  • Seit Februar 2016 Wiss. Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen im Lehrgebiet Lebenslanges Lernen.
  • Verschiedene Gutachten zur Bildungsfinanzierung für die Hans-Böckler-Stiftung und die GEW
Dr. Roman Jaich