Auszüge aus dem Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs
Autoritärer Populismus und die Wissenschaftsfreiheit
Nehmen wir an, es ist September 2024. Eine autoritär-populistische Partei hat nach den Thüringer Landtagswahlen so viele Stimmen erhalten, dass sie einige Ressorts besetzen kann. Ihre Wahl fällt dabei auch auf das Wissenschaftsministerium. Als Ort für Bildungsprozesse, Wissensgenerierung und Qualifikation hat sie ein großes Interesse daran, auf diesen Bereich Einfluss zu nehmen, denn es geht um nicht weniger als die gesellschaftliche Produktion von Wahrheit.(1)
Eine zentrale Herausforderung der Wissenschaftsstrategie von autoritären Populisten liegt in ihrer Widersprüchlichkeit.(2) Rechte Parteien betreiben einerseits aktiv strategischen Wissenschaftsskeptizismus, der Wissenschaft im Allgemeinen aber auch einzelne Forschungsrichtungen im Besonderen dezidiert in Frage stellt.(3) Das betrifft ganz besonders Geistes- und Sozialwissenschaften, wie die Geschlechter-, Rassismus- und Migrationsforschung.(4) Sie werden als nicht-wissenschaftlich denunziert. Als Konsequenz fordern autoritäre Populisten die Einstellung dieser Studiengänge, schikanieren einzelne Personen und setzen sie unter Druck.(5) Autoritäre Populisten kennzeichnen sich aber nicht nur durch eine oppositionelle Haltung gegenüber der Wissenschaft, sondern versuchen gerade auch, in ihr Resonanz zu erzeugen.(6) Sie organisieren Konferenzen, Akademien, publizieren in “wissenschaftlichen” Zeitschriften und Verlagen, vergeben Stipendien und versuchen, für aktuelle wissenschaftliche Debatten anschlussfähig zu sein.(7)
Um seinen gezielten Wissenschaftsskeptizismus in die Tat umzusetzen, könnte sich ein autoritär-populistischer Wissenschaftsminister dazu entschließen, Universitäten die Mittel zu kürzen. Universitäten wären in der Folge gezwungen, Stellen zu streichen. Auf längere Sicht hätte das unausweichlich Konsequenzen für die Profilbildung einer Universität. An der Vergangenheit lässt sich ablesen, welche Studiengänge das ganz besonders trifft: An der Uni Erfurt sollten zwei Fakultäten der Wirtschaftswissenschaft zusammengefasst (8) und an der Uni Jena ausgerechnet der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte nicht weiter besetzt werden.(9) Vor solchen Fusionierungen und Schließungen schützt auch nicht die Verfassung. Denn die verfassungsrechtlich normierte Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 ThürVerf) garantiert nicht den individuellen Bestand einzelner Hochschulen oder Fakultäten. Kombiniert man diese Kürzung der Grundausstattung mit strengeren Ziel- und Leistungsvereinbarungen, drohen diese Fachrichtungen zunehmend in eine Abwärtsspirale zu geraten. Aufgrund des notwendigen Personalabbaus und drohenden Wegfalls ganzer Lehrstühle nähme die Attraktivität bestimmter Studienorte stetig ab. Die Studierendenzahlen würden sinken und auch Drittmittel wären schwieriger aufzutreiben.(10) Manche Studiengänge könnten den Anforderungen der Ziel- und Leistungsvereinbarungen an die Absolvent:innenanzahl auf lange Sicht nicht mehr nachkommen. Wenn Universitäten ihre Ziele verfehlen, müssen sie das erklären – sie trifft die Nachweispflicht, dass sie alles getan hat, um die gesteckten Ziele zu erreichen.(11) Hat es die Hochschule “zu vertreten”, dass ein bestimmtes Ziel nicht erreicht wurde, kann das Ministerium im schlimmsten Fall sogar die Rückforderung oder Verrechnung bereits zugewiesener Mittel “in einem angemessenen Umfang” fordern.
Im Angesicht der anhaltend finanziell prekäre Lage könnte auch das Amt der Kanzler:in mit seinen umfangreichen Kompetenzen – je nach Besetzung – virulent werden. In Ungarn rechtfertigte die Regierung die Verankerung dieser Institution mit den “permanenten Grenzüberschreitungen” der Hochschulleitungen, die künftig einer professionellen kaufmännischen Führung unterstellt werden müssten, um für eine “transparente Haushaltsführung” zu sorgen. Die Regierung unterschlug dabei natürlich, dass der Grund für den Geldmangel vor allem im Rückgang finanzieller Unterstützung seitens der Regierung lag.(12) Dem Rektor wurde 2014 als traditionellem obersten Leiter der Hochschule also zwingend ein Kanzler beigeordnet, der für den wirtschaftlichen Betrieb zuständig ist und dort über umfangreiche Machtbefugnisse verfügt.(13) Dadurch wuchs die Sorge vor einem Kanzler, der Lehrstühlen, Projekten oder Wissenschaftler:innen den Geldhahn zuzudreht, wenn diese Ansichten vertreten, mit denen er nicht einverstanden ist.(14) Auch an thüringischen, bayerischen, brandenburgischen und hessischen Hochschulen leitet eine Kanzlerin die Verwaltung der Hochschule und agiert als Beauftragte für den Haushalt.(15) Wenn die Hochschulversammlung und die Hochschullehrer:innen jemanden wählen würden, der dem Ministerium nicht passt, könnte dieses schlicht die Ernennung verweigern und den Besetzungsprozess obstruieren. Für einen stärkeren Einfluss des Ministeriums genügt es oft schon, an diversen Stellen Zustimmungsvorbehalte zu besitzen und damit Prozesse in die Länge zu ziehen. So wird aus Verhinderungs- tatsächliche Gestaltungsmacht.
Die Vorgehensweisen autoritärer Populisten kommen oft als kleinteilige, harmlos wirkende Schritte daher. Konsequent und strategisch angelegt, können sie auch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit gefährden. Es schützt zwar vor dem formalisierten Zugriff politischer Akteure auf wissenschaftliche Inhalte. Die Vorstellung einer Ministerin, die Vorgaben macht, was erforscht werden muss, ist grundrechtlich ausgeschlossen.(16) Ein solches Handeln ist aber im Zweifel gar nicht erforderlich, um die Profilbildung einer Universität zu beeinflussen – und eine liberale und unabhängige Wissenschaft zu gefährden.
Der Beitrag ist ein Auszug der Recherchen, die das Thüringen-Projekt des Verfassungsblogs betreibt. Es erforscht, inwiefern eine autoritär-populistische Partei an Demokratie und Rechtsstaat Schaden anrichten könnte, wenn sie im Herbst die Landtagswahlen gewinnt. Die vollständigen Ergebnisse werden im Sommer in Buchform veröffentlicht. |
---|
(1) Vgl. Haker/Otterspeer/Schildknecht, Antiakademismus heute, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Demokratie unter Druck, Band 12. Jena, 82, 84.
(2) Vgl. Haker/Otterspeer, Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus an Hochschulen, in: ZRey, 1/2023, 102; 108.
(3) Vgl. Ehlert/Radvan/Schäuble/Thiessen, Verunsicherungen und Herausforderungen: Strategien im Umgang mit Rechtsetremismus und Antifeminismus in Hochschule und Profession, in: Sozial Etra, 2/2020, 102; 102.
(4) Vgl. ebd.
(5) Vgl. Ehlert/Radvan/Schäuble/Thiessen, Verunsicherungen und Herausforderungen: Strategien im Umgang mit Rechtsetremismus und Antifeminismus in Hochschule und Profession, in: Sozial Etra, 2/2020, 102; 102.
(6) Vgl. Haker/Otterspeer/Schildknecht, Antiakademismus heute, in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hg.). Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Demokratie unter Druck, Band 12. Jena, 82, 83.
(7) Vgl. Haker/Otterspeer, Wissenschaftsbezogener Rechtspopulismus/-extremismus an Hochschulen, in: ZRey, 1/2023, 102; 108.
(8) Vgl. Blanke/Bunse, in: Hochschulrecht in Bund und Ländern, Geis (Hrsg.), Thüringen, Rn.202.
(9) Vgl. www.fsv.uni-jena.de/fakultaet/institute-lehrstuehle/institut-fuer-soziologie/institut/genderkommission/aktuelles/geschlechtergeschichte-retten-fsu, zuletzt abgerufen am 28.02.2024.
(10) Vgl. www.mittelbau.uni-jena.de/wp/wp-content/uploads/2023/07/FSU-Unterfinanziert_Offener-Brief-Land.pdf, zuletzt abgerufen am 23.10.2023.
(11) Vgl. Blanke/Bunse, in: Hochschulrecht in Bund und Ländern, Geis (Hrsg.), Thüringen, Rn.209
(12) Vgl. Márk Várszegi, Rechtspopulismus und freier Geist – zur Lage der Wissenschaften in Viktor Orbáns Ungarn, 2, Rónay 2018, S.103.
(13) Vgl. Márk Várszegi, Rechtspopulismus und freier Geist – zur Lage der Wissenschaften in Viktor Orbáns Ungarn, 2.
(14) Vgl. Márk Várszegi, Rechtspopulismus und freier Geist – zur Lage der Wissenschaften in Viktor Orbáns Ungarn, 2.
(15) Vgl. § 32 ThürHG, Art. 23 Abs. 3 BayHschG, § 67 Abs. 1 BbgHG; § 41 Abs. 1 HessHG.
(16) Vgl. Möllers, Funktionsgrenzen der Wissenschaftsfreiheit, in: Wissenschaftsfreiheit in Deutschland - Drei rechtswissenschaftliche Perspektiven, Wissenschaftspolitik im Dialog 14/2021, S.37.
12045 Berlin