Als ich vor einigen Wochen spontan gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, als Gastdelegierte zum Gewerkschaftstag zu fahren,war meine erste Reaktion: Ja, klar! Wenig später fragte ich mich dann aber: Was genau ist das eigentlich, was soll ich dort überhaupt und was sind eigentlich meine Aufgaben? Aus dem „Ja, klar!“ wurde ein„Oh je!“ Dass ich mir gar nicht so viel Stress hätte machen müssen,wurde mir spätestens auf der Hinfahrt klar. Doch ich will lieber der Reihe nach erzählen, wie ich die Zeit in Freiburg erlebt habe.
- Der Gewerkschaftstag das höchste Beschlussgremium der GEW.
In einem Rhythmus von vier Jahren treffen sich die Delegierten aller Landesverbände an wechselnden Orten und wählen unseren Hauptvorstand. Außerdem gibt es umfangreiche Beratungen über Anträge,welche richtungsweisend für unsere Arbeit sind. Dass dies nicht in einem oder zwei Tagen zu bewältigen ist, kann man sich vorstellen.Wir hatten in diesem Jahr 5 Tage Zeit und haben dennoch nicht alles geschafft. Das lag vor allem daran, dass es zu verschiedenen Anträgen großen Redebedarf gab. Auch die Kandidat*innen für den Hauptvorstand mussten den Delegierten Rede und Antwort stehen, was manchmal etwas länger dauerte. Es wurde kontrovers und konstruktiv diskutiert, was mir sehr gefallen hat. Dinge nicht einfach stehen zulassen, sondern auch Unangenehmes anzusprechen – genau so stelle ich mir Gewerkschaftsarbeit vor.
Dabei durften sogar wir Gastdelegierte das Wort ergreifen. In der Regel werden wir als Beobachter*innen eingeladen, die den Prozess der Wahlen und Abstimmungen kritisch begleiten sollen. Zudem können wir uns in Übereinstimmung mit dem Plenum auch zu Wort melden, Fragen stellen oder Diskussionen anstoßen. Ein Stimmrecht haben wir nicht. Darüber war ich aber für meinen ersten Gewerkschaftstag eher froh, denn das hätte ich als eine zu große Verantwortung für meine erst kurze Zeit in der GEWempfunden. Was ich sehr spannend fand, war die teilweise sehr harsche und direkte Kommentierung des Geschehens aus den Reihen der Gastdelegierten. Ich habe das als sehr positiv empfunden,denn es gab einen ständigen Austausch von ordentlichen und Gastdelegierten. Dadurch bekamen manche Debatten mehr Schärfe, die vielleicht sonst zu sehr auf Konsens gebügelt waren.Ein Beispiel hierfür sind die Ausführungen rundum Berufsverbote für Kolleg*innen nach dem sogenannten Radikalenerlass.Hier wurde der Diskussion um die Forderung nach Entschädigungen für unsere Mitglieder mehr Nachdruck verliehen.
- Was genau waren die Hauptthemen, die diskutiert wurden?
Ich kann die Stimmung und die Beschlusslage im Prinzip auf vier Begriffe eingrenzen: Digitalisierung, Inklusion, Bildungsgerechtigkeit und Solidarität. Die heftigsten Diskussionen wurden über den Bereich „Digitalisierung“ geführt. Beispielhaft dafür waren die Anfangsschwierigkeiten,das Plenum von einer neuen Abstimmungsmethodezu überzeugen. In diesem Jahr war es das erste Mal so,dass die Wahlen zum Hauptvorstand mittels technischer Abstimmungsgeräte durchgeführt wurden. Das sollte vor allem eine Zeitersparnis bringen und die Arbeit effizienter gestalten. Es gab große Vorbehalte dagegen, welche sich auch in späteren Diskussionen immer wiederfanden. Die Hauptkritik richtete sich vor allem aufden Punkt der Sicherheit solcher Methoden. Im Verlauf des Gewerkschaftstages wurde das immer wieder zum Thema, etwa wennüber mögliche Hacker-Angriffe auf Schüler*innen-Daten gesprochen wurde oder die Einflussnahme von Technologie-Firmen wie Microsoft auf die Unterrichtsinhalte. Diese Auseinandersetzungen zwischen Befürworter*innen und Gegner*innen konnten nicht abschließend aufgelöst werden. Das sehe ich allerdings nicht als Manko an, denn das Thema ist sehr komplex.
- Beim Thema „Inklusion“ gingen die Diskussionen in verschiedene Richtungen:
Einig waren sich alle Delegierten, dass Inklusion im Prinzip wünschenswert sei. Jedoch wurde auch hier wieder klar: Es geht nicht ohne eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung der Bildungseinrichtungen. Ansonsten „verkommt der gute Gedanke zur Farce“ (Zitat von mehreren Delegierten).