Neues Beratungsangebot - auch für Pädagog:innen
„Alle Schüler:innen befassen sich irgendwann mit Fragen ihrer eigenen sexuellen Identität.“
In Erfurt wurde Mitte Oktober ein Queeres Zentrum eröffnet und die GEW Thüringen bzw. einzelne Mitglieder des Landesausschusses Diversity waren daran maßgeblich beteiligt. Wir sprachen mit Marina Schulz, dortige Koordinatorin, u.a. über den Begriff „queer“, über die derzeit unzureichende Finanzierung des Zentrums und über die Notwendigkeit der Integration von queeren Themen in die Ausbildung von Pädagog:innen.
Was ist ein Queeres Zentrum und was bedeutet der Begriff „queer“?
Queer kommt aus dem angloamerikanischen Raum und ist ein Sammelbegriff für ein ganzes Spektrum von Identitäten. Das meint sowohl lesbisch, schwul, Bisexualität, Transsexualität, Intersexualität noch weitere Identitäten. Queer wird heute viel verwendet, um nicht immer alle Identitäten einzeln aufzählen zu müssen. Denn das ist laufend in Veränderung, so dass manmit „queer“ einfach alle unter einem Begriff gut zusammenfassen kann.
Was meinst Du mit „verschiedenen Identitäten“?
Es geht um geschlechtliche Identität oder auch um sexuelle Orientierung. Beide Aspekte spielen eine Rolle und da geht es um Menschen die oftmals nicht dem entsprechen, was der Mainstream erwartet. Beispielsweise sind sie nicht heterosexuell und cis-geschlechtlich.Cis sind Menschen, die bei der Geburt als Mann oder Frau bezeichnet wurden und die sich auch später im Leben noch damit identifizieren können. Das ist das, was die meisten Menschen erst einmal voraussetzen und queer sind alle die, die von dieser Norm abweichen.
Wie wird mensch eine Koordinatorin im Queeren Zentrum?
Ich habe vorher zehn Jahre bei einem Träger Halle im Bereich der Bildungsarbeit und der Geschäftsführung gearbeitet. Dabei konnte ich viele Erfahrungen sammeln die wir jetzt nutzen können um so ein Queeres Zentrum neu aufzubauen. Dabei finde ich die Themen super spannend. Ich bin selbst lesbisch und weiß aus eigener Erfahrung wie wichtig es ist, dass es Räume gibt in denen man gestützt und gestärkt wird und dabei erfährt, dass man nicht allein ist. Ich möchte gerne dazu beitragen so einen Raum zu bieten und auch generell andere Menschen zu sensibilisieren dass diese Themen relevant sind, auch heute noch oder vielleicht gerade heute wieder.
Zu Deinem Werdegang: Was muss man studieren oder lernen um Koordinatorin eines Queeren Zentrums zu werden?
Ich habe Grundschullehramt studiert und habe auch mein Referendariat angefangen, dann aber festgestellt, dass mir die Struktur von Schule nicht gefällt. Ich will lieber etwas machen, wo Menschen freiwillig hinkommen. Es ist schon hilfreich, ein Studium gemacht zu haben, aber es kommt viel mehr darauf an, was ich nebenbei gemacht habe. Insbesondere in Organisation, Koordination und Netzwerkarbeit habe ich nebenbei Erfahrungen gesammelt.
Am 19. Oktober diesen Jahres wurde das QueereZentrum in Erfurt mit viel politischer Prominenz eröffnet. Wie viele Mitarbeiter:innen gibt es aktuell und wer fördert das alles?
Aktuell sind wir zu fünft, die meisten von uns haben Teilzeitstellen. Unsere Aufbauphase bis Ende des Jahres ist erst einmal finanziert. Und wie es nächstes Jahr weitergeht, das wird sich erst noch herausstellen. Aktuell sind wir gefördert von der Staatskanzlei und hoffen, dass sich auch die Stadt Erfurt nächstes Jahr mit einem kleinen Teil beteiligt. Vor allem deshalb, weil wir hier in Erfurt lokalisiert sind.
Als das Projekt des Queeren Zentrums noch in seiner Planungsphase war, fanden einige Sitzungen in den Räumen der GEW Thüringen statt. Damals ging es noch um eine paritätische Finanzierung – also von Land und Stadt zu gleichen Teilen. Jetzt sprichst du nur noch von einem kleinen Teil der Stadt, aktuell finanziert die Stadt aber gar nichts.Woran liegt das und wen muss man da wie beeinflussen, damit sich diese Haltung ändert?
Das Ganze hat sich so entwickelt, dass wir nicht nur für Erfurt da sind, sondern eher für Thüringen. Das ist deshalb so, weil eine große Nachfrage besteht und es nicht viele Angebote gibt. Im nächsten Jahr wollen wir gerne punktuell auch noch andere Standorte In Thüringen angehen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Wir können aber natürlich nicht mit fünf Menschen alles abdecken. Jetzt geht es vor allem darum, dass die Mitglieder von Stadtrat und Sozialausschuss sich für uns einsetzen und für uns stimmen.
Wenn der Erfurter Stadtrat und der Sozialausschuss nicht zustimmen, wird das Queere Zentrum dann am 31.12.21 geschlossen? Oder besteht die Möglichkeit, dass die Staatskanzlei euch weiter finanziert und fördert? Ich kann mir schlecht vorstellen, dass ihr das hier jetzt alles aufbaut und nach drei Monaten wird es wieder eingestampft.
Das wäre wirklich fatal und auch nicht wirtschaftlich sinnvoll. Die Landesfinanzierung des Haushalts für das nächste Jahr steht allerdings noch nicht. Und aktuell ist in dem Topf noch nicht genug Geld dafür vorgesehen, dass alle queeren Projekte gefördert werden können. Sowohl auf Ebene der Stadt und des Landes ist noch nichts sicher. Und obwohl wir sehen, dass Abgeordnete sich für uns einsetzen, reicht das leider noch nicht.
QUEERES ZENTRUM ERFURT |
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Johannesstraße 52 |
Wozu braucht es ein Queeres Zentrum?
Es braucht es als Raum, um sich real treffen zu können, um sich gegenseitig zu stärken und auszutauschen – und natürlich auch für Bildungszwecke. Zum einen für Menschen, die sich als queer identifizieren, um Vorbilder zu sehen. Zum anderen für die Weiterbildung von Eltern oder Lehrpersonal, die nicht wissen, wie sie mit Kindern umgehen sollen, die sich outen. Die haben dann Fragen zu verschiedenen Begriffen von Sexualitäten und Geschlechtern. Ich glaube gar nicht, dass diese Informationen in der Gesellschaft schon so angekommen sind, wie mensch vielleicht denkt.
Wahrscheinlich hängt die Unwissenheit auch mit Altersunterschieden zusammen. Gerade in den jüngeren Generationen gibt es viele Menschen, die sich für queere Themen interessieren und toleranter sind – auch deshalb, weil sie einfach mehr Kontakt mit queeren Menschen haben und weil dadurch die Hemmschwelle für ein Outing niedriger ist. Siehst Du auch einen Generationsunterschied hinsichtlich Toleranz und Aufklärung?
Jein. Solche Sichtweisen habe ich schon öfter gehört und gerade auf den CSDs ist die junge Generation sehr laut. Aber gleichzeitig gibt es auch viele junge Menschen, die erzählen, dass sie Angst haben, sich in der Schule zu outen und die gemobbt werden. Das hören wir hier auch oft.
Man könnte aber vielleicht sagen, dass queere Themen in den Medien viel thematisiert werden und dass dadurch junge Menschen oft in Berührung damit kommen. In früheren Zeiten wurde die Frage nach der Identität nicht gestellt. Da war man Mann oder Frau und fertig.
Dem würde ich auf jeden Fall zustimmen. Ich hatte auch, als ich aufgewachsen bin, nicht die Repräsentation in beispielsweise Fernsehserien, in denen andere Identitäten vorkamen.
Wenn wir uns die Bildungsbereiche Kita, Schule Hochschule anschauen, siehst du da Bedarf für eine gesteigerte Sensibilität der Pädagog:innen, damit sie in der Lage sind, solche Dinge zu beobachten und besten Falle positiv zu moderieren?
Wir haben bis jetzt erst wenig Öffentlichkeitsarbeit gemacht, was einzelne Angeboten betrifft. Es wurde auf jeden Fall schon geplant,dass wir uns an Schulen wenden und dann Beratungen anbieten. Der Bedarf ist auf jeden Fall da. Wir kennen die Erfahrungen von Trans-Inter-Aktiv Mitteldeutschland und haben gehört, dass sich teilweise auch einzelne Lehrkräfte mit Fragen melden. Gerade wenn sich Schüler:innen outen, werden diese Fragen dann sehr spezifisch. Aber es gibt natürlich auch Kinder, die sich nicht outen, weil Lehrkräfte dem ganzen skeptisch gegenüberstehen oder sich einfach nicht äußern.
Wenn Pädagog:innen aus den genannten Bereichen dies lesen, wohin können die sich wenden?
Sie können gerne bei uns anrufen unter 0361/213 468 40 oder eine E-Mail schreiben. Unsere Internetseite lautet www.queereszentrum-erfurt.de. Dann werden wir gemeinsam entscheiden, ob es eine Beratung geben soll oder ob wir eine Fortbildung organisieren.
Wie würdest du das mit der Freiwilligkeit bei der Fort- oder Weiterbildung von Lehrkräften angehen? Oft ist es ja so, dass bei freiwilligen Angeboten nur Menschen teilnehmen, die sowieso schon daran interessiert und informiert sind. Aber dann erreichen die Angebote eben nicht die Menschen, die sie erreichen sollte, weil sie es bräuchten. Ist es eine Option oder Lösung, queere Themen generell in der Ausbildung zu thematisieren?
Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Es würde Sinn machen, diese Themen in die Ausbildung zu integrieren. Eine andere Möglichkeit wären In-House-Fortbildungen. Das würde auch ein wichtiges und notwendiges Zeichen seitens der Leitung gegenüber den Pädagog:innen, aber auch den Eltern und Kindern gegenüber setzen. Wenn die Leitung dahintersteht, können mehr Menschen erreicht werden. Die meisten Lehrkräfte sind irgendwann auch einmal Klassenlehrer:innen, oder haben zumindest viele Stunden mit einer Klasse. Und dann wird das irgendwann einmal Thema sein, denn alle Schüler:innen müssen und werden sich irgendwannmit ihrer eigenen sexuellen Identität auseinandersetzen.
Vielen Dank Marina. Wir bleiben auf jeden Fall am Thema und werden sicherlich im nächsten Jahr noch einmal nachfragen, wie sich das Queere Zentrum entwickelt hat.
99096 Erfurt