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Emanzipation früher und heute

50 Jahre Stonewall und der Kampf um Emanzipation

1969 fanden die Stonewall-Aufstände statt, die meist als Auslöser der modernen Homosexuellenbewegung gelten und an die heute beispielsweise immer wieder in Form von Christopher Street Days erinnert wird. Die Aufstände sind Teil einer langen Geschichte von Kämpfen für die Emanzipation sexueller und geschlechtlicher Minderheiten. Die Paraden sind dabei aber nicht unumstritten. Woher kommen sie eigentlich und warum braucht man sie noch?

Abschlussdemonstration 1973 - Quelle: Schwules Museum - Foto: Rüdiger Trautsch

In diesem Jahr haben Menschen weltweit einen wichtigen Jahrestag sozialer Bewegungsgeschichte gefeiert: die StonewallAufstände in New York City wurden 50. Der Widerstand gegen Polizeiwillkür, die besonders häufig vor allem Drag Queens und trans*Menschen, arme Menschen und nichtweiße Queers traf, entzündete sich bei einer erneuten Razzia in der Stonewall Bar und mündete in mehrtägigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch wenn es nicht das erste öffentliche Aufbegehren gegen Diskriminierung von Nicht-Heterosexuellen war, wurde es dennoch zunehmend zum Ausgangspunkt für ein (Wieder-)Erstarken queerer Befreiungsbewegungen.

Bereits frühzeitig wurde Stonewall Inspiration und Bezugspunkt für erneute Proteste gegen Diskriminierung und Willkür und die Verbesserung der Situation von queeren Menschen. In Deutschland sind derartige Proteste und Feiern mittlerweile meist als „Christopher Street Day“ (CSD) bekannt. Allein in Thüringen fanden dieses Jahr CSDs in Erfurt, Gera, Jena und Weimar statt. Queere Menschen und ihre Verbündeten gehen dabei auf die Straße und feiern und protestieren gegen Stigma und Diskriminierung sowie für Sichtbarkeit und eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen.

CSDs, die oft als Paraden und/oder Straßenfeste daherkommen, sind dabei nicht unumstritten. Zum Teil wird dann behauptet, dass ja schon alles erreicht sei
und CSDs eigentlich gar nicht mehr notwendig. Mitunter kommt dazu der Vorwurf, die CSDs wären in ihrer (vermeintlichen) Exzessivität zu abschreckend und man wolle doch eigentlich nur „wie jede*r andere“ sein statt aufzufallen. Aus einer anderen Ecke hingegen kommt die Kritik, dass die CSDs mittlerweile viel zu angepasst und kommerzialisiert seien, dadurch unpolitisch würden und so ihren befreienden Ursprungscharakter verlören. Im Kern geht es also um die Frage, wie politisch CSDs (noch) sein sollten – und wessen politische Interessen und Anliegen eigentlich im Mittelpunkt stehen. Um CSDs und diese Debatten nun besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in ihre Geschichte.

Historische Entwicklung der CSDs

Die Demonstrationen haben ihren Ursprung in einer langen Geschichte politischer Bewegungsarbeit. In den Jahrzehnten vor Stonewall gab es in Deutschland bereits in einigen Städten Bars für gleichgeschlechtlich Liebende, erste Zeitschriften wie „Die Freundin“ für lesbische Frauen (1924-1933) und „Der Eigene“ (1896-1932), das erste „homosexuelle“ Magazin der Welt. Darüber hinaus gab eine ganze Bandbreite politischer und wissenschaftlicher Bewegungen wie das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee (1897-1933) und das Institut für Sexualwissenschaften in Berlin (1919-1933). Diese hatten im Sinn, die Situation von gleichgeschlechtlich Liebenden zu verbessern und Menschen zusammenzubringen.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg kam es trotz ablehnender Haltung großer Teile der Gesellschaft und rechtlicher Repression früh zur Gründung neuer Organisationen, die sich zuerst sehr verdeckt hielten und versuchten möglichst unauffällig Werbung für das Ziel rechtlicher Liberalisierung zu leisten. In den 1970ern wurden die Protestrufe queerer Menschen dann lauter und erste Demonstrationen fanden statt. Die erste Schwulendemo der BRD fand 1972 in Münster statt, während
sich lesbische Frauen vorrangig in der erstarkenden Frauenbewegung engagierten. Ab ca. 1979, zum zehnten Jahrestag der Proteste in New York City, lässt sich dann verstärkt ein Bezug auf Stonewall auch in Deutschland finden.

CSDs sind dabei immer auch Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Waren wichtige Themen der 1980er und frühen 1990er beispielsweise der Kampf gegen HIV/Aids und gegen den diskriminierenden Strafrechts-Paragraphen 175, der in der BRD noch bis 1994 galt und in der DDR als Paragraph 151 bereits Ende der 1980er ersatzlos abgeschafft wurde. In den letzten zwei Jahrzehnten rückten dann eher Themen wie die „Ehe für Alle“ und die Situation von trans* Menschen in den Mittelpunkt.

Gleichzeitig gibt es eine ganze Reihe von Kontinuitäten

Bis heute ist beispielsweise (fehlende) Sichtbarkeit in der Gesellschaft, aber auch in queeren Communities, ein viel diskutiertes Thema. Das geht von lesbischer Sichtbarkeit bis hin zur Sichtbarkeit von queeren Menschen mit Behinderung. Ein anderes Beispiel ist die bis heute anhaltende Erfahrung von Gewalt gegen Einrichtungen und Menschen – dabei spielt es gar keine Rolle ob sie „tatsächlich“ queer sind oder nur von Angreifer*innen dafür gehalten werden. So traf es dieses Jahr beispielsweise auf dem Münchner Oktoberfest zwei heterosexuelle Männer, die für schwul gehalten und deswegen verprügelt wurden.

Die Fragen wie diese Themen nun behandelt werden sollen, ist bis heute im Mittelpunkt hitziger Debatten. Die Auseinandersetzungen um CSDs sind innerhalb queerer Communities zentrale Diskussionen über politische Strategien und die Frage, wer eigentlich alles dazugehört und wessen Interessen Beachtung finden sollten. Während die einen jetzt fordern, nach einer „radikalen Phase“ nun eher unauffällig aufzutreten und „einfach wie alle anderen“ sein wollen, also Akzeptanz durch Anpassung befürworten, empfinden andere das zumeist als Selbstaufgabe und beharren auf dem umfassenden Befreiungsanspruch. Dieser prägte die Bewegung der 1970er und 1980er stark – die „Gay Liberation“ war zum Teil Identitätspolitik, sah sich aber auch verpflichtet, das Zusammenspiel mit anderen Mechanismen von Unterdrückung (Rassismus, Sexismus, etc.) zu thematisieren. Hier kann, so das Argument, die „Ehe für Alle“ nicht Ende der politischen Betätigung bedeuten, sondern nur ein Teilschritt auf einem längeren Weg sein. (Zumal die „Ehe für Alle“ lange Zeit von politisch Aktiven sogar mehrheitlich abgelehnt wurde aus Angst vor einer „Heterosexualisierung“ queeren Lebens und Liebens, bei der alternative Beziehungsformen wieder verdrängt und stigmatisiert werden.)

Gewerkschaftliche Engagement weiterhin notwendig

Wo jede*r Einzelne bei dieser Debatte nun persönlich steht, muss jede Person für sich selbst entscheiden. Als Gewerkschaft hingegen kann in der Tat die „Ehe für Alle“ nicht bedeuten, dass wir uns nicht mehr mit dem Thema beschäftigen: solange Menschen immer noch Angst haben müssen, sich am Arbeitsplatz oder in der Bildungseinrichtung zu outen, weil sie Nachteile befürchten, ist Diskriminierungsschutz auch Thema für die GEW.

Ebenso ist es unsere Aufgabe, uns dafür einzusetzen, dass alle Menschen in ihrer Vielfalt so gestärkt werden, dass sie sich frei entfalten können. Das beinhaltet eine angemessene Reform des Transsexuellengesetzes, die Einrichtung adäquater Meldestellen für Fälle von Diskriminierung, bis hin zur stärkeren Vermittlung von Vielfaltskompetenz in Betrieb und Bildungseinrichtung – was im Übrigen allen Menschen zugutekommt.

Die historische Erfahrung zeigt dabei, dass dies nicht nur in Hinterzimmern passieren kann und öffentliche und sichtbare Aktionen wie CSDs ihre Berechtigung – ja ihre Notwendigkeit – haben. Auch in der GEW selbst brauchte es lautstarken und beharrlichen Aktivismus, um darauf aufmerksam zu machen, dass auch queere und
trans*Kolleg_innen und Lernende einen Anspruch auf ein diskriminierungssensibles und entfaltungsförderndes Umfeld haben. Insbesondere heutzutage, wenn Hasskriminalität gegenüber queeren Menschen und Einrichtungen wieder zunimmt, die Neonazis von der Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ erfolgreich eine Zeit lang den
Erfurter CSD blockieren und gesellschaftliche Strömungen die Zeit gerne um Jahrzehnte zurück drehen würden, um errungene Erfolge rückgängig und queere Menschen wieder unsichtbar zu machen.

Als GEW kann die Antwort 50 Jahre nach Stonewall nur sein: „We are here, we are queer, get used to it!“1


[1] Der Slogan („Wir sind hier, wir sind queer, gewöhnt euch dran!“) wurde geprägt von der amerikanischen Organisation Queer Nation, die seit den 1990er Jahren aktiv gegen Homophobie und für eine größere Sichtbarkeit queerer Menschen kämpft.

Plakat des CSD Weimar 2019
Abschlussdemonstration 1973 - Quelle: Schwules Museum - Foto: Rüdiger Trautsch
Abschlussdemonstration 1973 - Quelle: Schwules Museum
Kontakt
Heiner Schulze
Mitglied im Landesausschuss Diversity
Adresse Heinrich-Mann-Str. 22
99096 Erfurt
Telefon:  0361 590 95 0
Plakat des CSD Weimar 2019