Kindergarten
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Chronologie unseres Einsatzes für sichere Stellen und mehr Qualität
Anfang diesen Jahres trafen sich Vertreter:innen von Gewerkschaften (GEW und ver.di), der LIGA der freien Wohlfahrtspflege sowie der Landeselternvertretung und gründeten die Allianz für einen besseren Personalschlüssel in Thüringer Kindergärten. Am 21.02.2024 stellte die Allianz ihren Appell an die demokratischen Landtagsfraktionen auf der Landespressekonferenz vor und machte mit diesem klar, dass der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Kindergartengesetzes zwingend im Bereich des Personalschlüssels noch in dieser Legislatur beschlossen werden muss. Das Zeitfenster, die Qualität für die pädagogische Arbeit zu verbessern, das Personal zu entlasten und zu halten, ist jetzt.
Das Kindergartengesetz kann nur durch den Landtag geändert werden. Einen Vorschlag zur Änderung des Kindergartengesetzes hatten Rot-Rot-Grün bereits im Herbst 2023 eingebracht. Der Landtag hatte diesen Vorschlag in den Bildungsausschuss zur Beratung verwiesen.
Der „Appell für einen besseren Personalschlüssel in Thüringer Kindergärten“ im Wortlaut:
„Eine Kindertageseinrichtung zu besuchen ist für den weiteren Lebenslauf von Kindern von hoher Bedeutung. Die emotionale, soziale, körperliche, kognitive, sprachliche, musische und kreative Entwicklung von Kindern wird hier individuell begleitet, unterstützt, angeregt und ermöglicht einen guten Start in das Leben.
Ein bedarfsgerechtes Angebot, mit einem Rechtsanspruch auf eine 10-stündige Betreuung in Thüringer Kindertageseinrichtungen zur notwendigen Vereinbarung von Familie und Beruf, braucht entsprechende Rahmenbedingungen. Laut dem aktuellen Ländermonitoring der Bertelsmann Stiftung sind die Personalschlüssel für 90 % der Kinder in Thüringer Kindergärten nicht kindgerecht. Dies bestätigen 17.961 Mitzeichnende der Petition "Verbesserung des Personalschlüssels in den Thüringer Kindergärten" ebenso.
Die Regierungsfraktionen haben dieses Problem erkannt und 2023 in einem Gesetzentwurf aufgegriffen. Die vorgesehenen Verbesserungen sind ein erster Schritt, reichen jedoch längst nicht aus. Zudem sieht der im Dezember 2023 beschlossene Landeshaushalt keine Mittel zur Umsetzung der Gesetzesnovelle und damit zur beabsichtigten Personalschlüsselverbesserung vor.
Eine angemessene Personalausstattung in Kindergärten ist Voraussetzung für
- eine qualitativ hochwertige Betreuung, Bildung und Erziehung
- die Sicherung des Kindeswohls
- bedarfsgerechte Öffnungszeiten
- eine verlässliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit für die Fachkräftesicherung der Thüringer Wirtschaft
- die Attraktivität des pädagogischen Arbeitsfeldes, ein gesundes Arbeitsklima und die Vermeidung von Überforderungssituationen der pädagogischen Fachkräfte
- ein gelingendes Angebot zur Integration von Kindern und Familien mit Migrationshintergrund.
Die derzeitige demografische Entwicklung in Thüringen bietet die Chance, ohne erhebliche Kostensteigerungen den Personalschlüssel in den Thüringer Kindergärten in einem zeitnahen ersten Schritt auf eine Fachkraft-Kind-Relation für alle Kinder von 3-6 Jahren auf 1:12 zu verbessern.
Auf Grund sinkender Kinderzahlen können in den Kindergartenjahren 2024 und 2025
- ca. 1.000 Vollzeitstellen für die Verbesserung des Personalschlüssels genutzt
- die Abwanderung von jungen, gut qualifizierten pädagogischen Fachkräften verhindert
- die Schließung von Kindergärten insbesondere im ländlichen Raum verhindert und
- die zur Fachkräftesicherung der Thüringer Wirtschaft dringend notwendige Infrastruktur frühkindlicher Bildung und Betreuung erhalten werden.
Die Allianz für einen besseren Personalschlüssel in Thüringer Kindergärten fordert den Thüringer Landtag auf, noch in dieser Legislaturperiode fraktionsübergreifend die Umsetzung der im Gesetzentwurf beschriebenen Verbesserung des Personalschlüssels und einen verbindlichen Stufenplan für eine Personalausstattung mit dem Ziel 1:3 bei den Unterdreijährigen und 1:7,5 bei den Überdreijährigen zu beschließen.“
Die Zeit drängt – die Zahlen des Thüringer Landesamtes für Statistik zur Vorausberechnung der Kindertagesbetreuung sind eindeutig
Seit 2020 ist ein stetiger Rückgang der Kinderzahlen zu beobachten. Im Jahr 2022 wurden nur noch 91.800 Kinder in Kindertageseinrichtungen betreut. Für das Jahr 2042 wird eine Gesamtanzahl von 81.500 Kindern prognostiziert. Das sind 10.300 Kinder weniger in öffentlicher Betreuung. Von 2022 bis 2042 werden insgesamt 11,3 % weniger zu betreuende Kinder erwartet. Bis zum Jahr 2027 wird die Zahl der unter 6-jährigen um 14,8 % sinken. Danach wird bis 2042 wieder ein Anstieg um 8,2 % erwartet.
Bereits in den nächsten zwei Jahren werden ca. 1.200 Vollzeitstellen (angegeben in Vollbeschäftigteneinheiten VBE) überflüssig. Das heißt, fast in jeder Einrichtung muss mindestens eine Stelle abgebaut werden.
Diese abstrakten Zahlen bedeuten an Beispielen
Wir haben in den Kindergärten nach der aktuellen Situation, insbesondere mit dem Blick auf das neue Kindergartenjahr ab dem Sommer gefragt. In der nachfolgenden Aufzählung zeigen wir für viele Landkreise und Städte an jeweils einem Beispiel die Konsequenzen der sinkenden Kinderzahlen auf:
- Kindergarten im Eichsfeld für bis zu 77 Kinder: Auslastung ab Sommer 68 % und damit Abbau von 2 Stellen
- Kindergarten in Erfurt für bis zu 170 Kinder: Auslastung ab Sommer 76 % und damit drastische Stundenreduzierung für alle Beschäftigten sowie Abbau von 1 – 2 Stellen
- Kindergarten in Gera für bis zu 50 Kinder: Auslastung ab dem Sommer 70 % und Abbau von 1 Stelle
- Kindergarten in Gotha für bis zu 80 Kinder: Auslastung ab Sommer 73 % und Abbau von mindestens 1 Stelle sowie weiteren Stundenreduzierungen
- Kindergarten im Ilmkreis für bis zu 54 Kinder: Auslastung ab dem Sommer 76 % und Abbau von 1 Stelle
- Kindergarten in Nordhausen für bis zu 96 Kinder: Auslastung ab dem Sommer 63 % und damit Abbau von 3 Stellen
- Kindergarten im Saale-Holzlandkreis für bis zu 35 Kinder: Auslastung ab Sommer 57 % und Abbau von Stellen, gegebenenfalls sogar Schließung der Einrichtung
- Kindergarten im Saale-Orla-Kreis für bis zu 260 Kinder: Auslastung ab Sommer 65 % und damit Abbau von 2 – 3 Stellen
- Kindergarten in Saalfeld-Rudolstadt für bis zu 255 Kinder: Auslastung ab Sommer 64 % und Abbau von 3 – 4 Stellen
- Kindergarten in Sömmerda für bis zu 40 Kinder: Auslastung ab Sommer 70 % und Abbau von 2 Stellen (1 Stelle davon im Bereich Inklusion)
- Kindergarten im Unstrut-Hainich-Kreis für bis zu 50 Kinder: Auslastung ab Sommer 32 % und Abbau von 1 Stelle (zuvor bereits Abbau von 2 Stellen)
- Kindergarten im Wartburgkreis für bis zu 90 Kinder: Auslastung ab Sommer 74 % und Reduzierung auf 32 Wochenstunden für alle Beschäftigten
- Kindergarten in Weimar für bis zu 60 Kinder: Auslastung ab Sommer 67 % und Abbau von 1 Stelle sowie Stundenreduzierung
Weitere Beispiele gibt es auf hier zu finden.
Allianz überreicht im April mehr als 1.200 Kinderzeichnungen
Um zu symbolisieren, dass diese abstrakten 1.200 Vollbeschäftigteneinheiten (VBE), die abgebaut werden müssten, für ganz konkrete Menschen stehen und wie viele Erzieher:innen dieser Stellenabbau treffen würde, baten wir die GEW-Mitglieder und Kindergartenleitungen, uns von Kindern angefertigte Zeichnung ihrer Erzieher:in zuzuschicken. Die Resonanz war beeindruckend: Die über 1.200 Bilder nutzen wir für eine Aktion vor dem Landtag und luden die Politiker:innen der demokratischen Fraktionen parallel zu ihrer Sitzung des Bildungsausschusses ein, sich die Bilder-Galerie anzuschauen und mit Allianz-Vertreter:innen über Lösungen zu sprechen, wie der Stellenabbau verhindert und über einen verbesserten Personalschlüssel mehr Qualität umgesetzt werden kann.
Der Diskussion mit Vertreter:innen der Allianz stellten sich
- Thomas Hartung (SPD),
- Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/Die Grünen),
- Daniel Reinhardt, Kati Engel, Christian Schaft und Torsten Wolf (Die Linke) sowie
- Christian Tischner und Maik Kowalleck (CDU).
1:12 JETZT! Kundgebung von Erzieher:innen und Eltern Anfang Mai vor dem Thüringer Landtag
Leider ließen die Politiker:innen des Bildungsausschusses das Landtagsplenum im April ungenutzt. Um eine Entscheidung zum Kindergartengesetz aber noch vor den Landtagswahlen einzufordern, rief die Allianz Anfang Mai zu einer Kundgebung auf und es kamen Hunderte!
Neben Redebeiträgen der Allianzvertreter:innen kam die Praxis zu Wort. Zwei Einrichtungsleiterinnen und eine Erzieherin berichteten von ihren derzeitigen Erfahrungen: hoher Krankenstand, Abstriche bei der Bildungsarbeit und Ängste der Kolleg:innen vor Jobverlust. Nachdem Bildungsminister Helmut Holter in seinem Redebeitrag noch einmal den Werdegang der Kindergartengesetzesänderung umriss, sollten die Vertreter:innen der demokratischen Parteien im Thüringer Landtag den Kundgebungsteilnehmer:innen Rede und Antwort stehen, wie sie sich im derzeitigen Prozess um Verbesserungen des Personalschlüssels positionieren. Es sprachen Christian Tischner (CDU), Steffen Dittes (LINKE), Franziska Baum (FDP), Georg Maier (SPD) und Madeleine Henfling (GRÜNE).
Die CDU kündigte einen Entschließungsantrag zum laufenden Vorschlag von Rot-Rot-Grün an, der Personalschlüsselverbesserungen ab 01.01.2025 sowohl im U3- als auch Ü3-Bereich vorsieht. Turnusmäßig tagt der nächste Bildungsausschuss am 24. Mai. Das letzte Plenum vor der Sommerpause und der Landtagswahl findet ab dem 5. Juni statt.
99096 Erfurt